Ach, Judith, das wird schon wieder.
Wie Carla ja schreibt, Rückschritte gibt es immer, und eigentlich ist doch gar nichts passiert.
Klar ist das ne blöde Situation gewesen, aber im Grunde war's auch echt alles auf einmal:
Nero hatte bereits eine lange, und selbst, wenn es gut gelaufen ist, für ihn anstrengende Trainingslektion hinter sich... und dann kommt das da:
Es war ein enger Weg mit wenig Ausweichmöglichkeiten, die Hunde standen sich im Abstand von ca. 5m gegenüber. Die Frau blieb mit ihrem Hund stehen und rief uns entgegen, dass ihr Hund keine Rüden mögen würde.
Der Einstieg ist schon absolut blöd: Es ist eng, eien Frontalbegegnung nicht zu vermeiden, die Besitzerin vom anderen Hund strahlt erstens Abwehr und zweitens eine gewisse Inkompetenz bzw. Unsicherheit aus (wenn ihr Hund keine Rüden mag, hätte sie ja auch einfach umdrehen können, vor allem, wo ihr doch mit Sack und Pack beladen seid...)
Die Warnung sorgt sofort für angespannte Stimmung sowohl bei dir als auch bei deinem Hund (vom Benehmen des anderen Hundes gar nicht zu reden...).
Der Spacko registriert bei Hund-Halter-Begegnungen auch sehr genau, wie der Halter des anderen Hundes sich verhält, und beim ersten Anzeichen, dass der selbst unsicher ist oder seinen Hund eventuell nicht im Griff hat, tillt er schon sicherheitshalber. Motto: "Oh Gott, der gehorcht überhaupt nicht, der kommt gleich hierher!"
Also haben wir Nero abgerufen, der zwar nicht kam, dafür aber stehen blieb und sich anstandslos anleinen ließ (immerhin etwas, er hätte auch hinspurten können und hätte das wohl vor 2 Wochen noch gemacht).
Der war da schon in Alarmstellung und hat sich (meine Deutung) schlicht nicht mehr getraut, dem Krisenherd voraus den Rücken zuzuwenden.
Der andere Hund ging sofort in Drohhaltung und fixierte Nero, der das tat, was er immer tut: sich klein machen, also hinlegen.
Soweit, so gut... damit zeigt er recht deutlich, was er eigentlich nicht will: Auf den anderen Hund los.
Die Frau bekam ihren Hund nicht von der Stelle, der bellte und knurrte und drohte, so dass wir beschlossen, wir gehen vorbei und versuchen, einen Bogen zu machen soweit der Weg es zulässt.
Hmmh, ich kann's mir lebhaft vorstellen. Armer Nero. Stress hoch drei. Und ihr zieht ihn auch noch gnadenlos vorwärtst, in einen Konflikt, in den er gar nicht will.
(Das ist jetzt kein Vorwurf, es ist einfach eine Bestandsaufnahme.)
Nero machte sich schwer, die Trainerin wollte ihn vorbei ziehen, was zur Folge hatte, dass Nero in die Leine ging und auf die Pöbelei einstieg. Nur zu zweit konnten wir ihn vorbei ziehen, was wirklich ein Kampf war. Befehle wurden ignoriert und es war wirklich ein Theater ohne Ende. So schlimm war es selten.
Die Trainerin meinte hinterher, sie habe das Gefühl gehabt, er sei nicht mehr ansprechbar gewesen.
Und auch nachdem wir vorbei waren, war er nicht ansprechbar, reagierte nicht auf uns, weder auf verbale noch auf körperliche Kommunikation. Es dauerte ca. 10 Minuten, bis er wieder der Alte war.
Ich bin nicht wirklich überrascht darüber.
Versetz dich doch mal in den Hund: Der will da nicht hin, das Ganze ist ihm nicht geheuer, ihr zwingt ihn aber vorwärts und zerrt und schiebt zu zweit an ihm herum... dass ihm da dann die Sicherung durchbrennt, und er nur noch handelt nach dem Motto: "Dann eben Angriff, weg darf ich ja nicht, und unbeschadet vorbei komm ich da bestimmt nicht!", und dann aber "Augen zu und durch!" wundert mich eigentlich nicht.
Ich kenn sowas ja nur zu gut, und noch vor 3 Jahren (naja, jetzt fast 4) hätt ich das wohl auch so versucht, mit den immer wieder gleichen Konsequenzen... Hund flippt aus.
Würde ich heute nicht mehr so machen.
Wenn der Hund in so einer offenbar viel zu engen Situation wenigstens den
Ansatz von defensiven Tendenzen zeigt, würde ich die bestärken, nicht ihn auch noch vorwärts zwingen. Was hat er denn dann von seinem Wohlverhalten? - Doch nur, dass er noch näher an "den Feind" oder "das Grauen" heranmuss. Eben für ihn unerträglich nah.
Aber selbst dann führte er die einfachsten Befehle nicht aus. Und als wir dann etwas später noch einem Auto begegneten, war er kurz davor, wieder in alte Verhaltensmuster zu fallen und auf es drauf zu gehen. Es war, als müsse er diesen Stress durch den anderen Hund noch mal ausagieren oder noch mal durchleben.
Es war nicht nur "so, als ob", es war
genau so. Die Ausschüttung von Adrenalin und Cortisol und wwi in so einer Stresssituation funktioniert bei Mensch und Hund gleich, und das Abregen funktioniert leider viel langsamer als das Aufregen, das ist physiologisch nunmal so.
Nach so einem Erlebnis ist der Hund auf einem sehr hohen Erregungslevel und auch Situationen, an die er eigentlich normalerweise gewöhnt sein müsste, regen ihn dann deutlich mehr auf - möglicherweise bis hinter die "Ausflippgrenze", von der er im Ruhezustand deutlich entfernt ist.
Wir haben die Situation noch ausführlich besprochen und festgestellt, es wäre cleverer, nein, es wäre angebracht gewesen, nicht an dem Hund vorbei zu gehen und Nero dem Stress auszusetzen, sondern wir hätten umdrehen und so die Situation auflösen müssen, da Nero innerlich noch nicht sicher genug ist, um selbst aus der Situation heraus zu gehen.
Das Problem daran war mEn, dass er in dem Moment nicht erkannt hat/erkennen konnte, dass der Weg nach vorn, auf den drohenden Gegner zu, ihn aus der Situation
herausführen würde. - Dass ihr versucht habt, einen Bogen zu laufen, hat in dem für ihn zu geringem Abstand für seine Gemütslage keine Auswirkung gehabt. Er hat nur gemerkt, er muss immer dichter an den anderen Hund heran.
Aus der Situation herauszukommen, hat er im Grunde versucht. Er hat sich hingelegt, und hättet ihr umgedreht, wär es vermutlich so gelaufen, dass er erst versucht hätte, sich immer wieder umzudrehen und nicht wegzugehen - schlicht wegen des oben beschriebenen: "Ich dreh dir nicht den Rücken zu!" - Aber ab einem gewissen Abstand - also, wenn der groß genug gewesen wäre und ihr ihn bestimmt genug vom anderen Hund weg geführt hätte, wäre das sehr schnell umgeschlagen und dann hätte er versucht, den Abstand zu vergrößern. Möglichst schnell.
Und da die Frau ihrenn Hund auch nicht fort bewegen konnte, steckte er in der Situation fest und hatte keine Lösungsstrategie.
Ja, sowas liebe ich auch... Leute, die ihren im Grunde verträglichen oder auf jeden Fall viel kleineren Hund absitzen lassen, auf dass ich den tobenden Spacko an ihnen am Halsband bzw. Geschirr vorbeitragen bzw. schleifen kann... mach ich nicht mehr. Ich bleib jetzt stehen, sichere meinen Hund, und entweder, die bewegen sich an mir vorbei, und das schnell und mit Maximalabstand, oder sie müssen halt umkehren.
(Das allerdings nur in Situationen, wo ein Ausweichen oder Umkehren meinerseits nicht möglich ist, sonst tue ich das natürlich.
)
Um auch mal das Positive zu sehen, muss ich erwähnen, dass Nero durchaus die Möglichkeit gehabt hätte, auf den anderen Hund drauf zu gehen, dies aber nicht getan hat, sondern anscheinend auch die Drohgebärden des anderen Hundes verstanden hat und versucht hat, ihn zu beschwichtigen.
Der hat sie sehr gut verstanden. Das war ja das Problem. Und darum wollte er auch partout nicht dort vorbei.
Aber klar ist: Nicht Autos oder Fahrräder sind das größte Problem, die wirkliche Herausforderung liegt darin, Hundebegegnungen so zu gestalten, dass sie für Nero erträglich sind. Bisher dachten wir aufgrund der gemachten Erfahrungen, er will immer zu den Hunden hin und wir müssen mit ihm üben, dass ich das entscheide, wann er hin darf und wann nicht.
Ich glaube, das gehört alles zusammen. Du wirst jetzt in den nächsten Tagen vermutlich auch feststellen dürfen, dass er auf Autos wieder schlechter reagiert als vorher, oder Hunde schon auf weiten Abstand sehr sorgfältig beäugt. Lass dich davon aber nicht entmutigen. Der hat ein sehr stressiges, unangenehmes Erlebnis gehabt und muss darüber erstmal hinwegkommen. Das wird auch wieder besser.
Wie Carla schon geschrieben hat: Rückschritte sind normal. Unter anderem auch deswegen, weil man solche blöden Begegnungen wie die von euch von gestern auch bei allem guten Willen und noch so guter Planung nicht immer vermeiden kann. Und dann steckt man mitten drin und muss sich entscheiden: Vor oder zurück... und man hat ne Chance von 50:50, dass die Entscheidung richtig ist. oder eben nicht. Das ist Alltag, und man selbst funktioniert ja auch nicht immer perfekt nach den eigenen guten Vorsätzen. Man sollte sich also selbst keine unnötigen Vorwürfe machen,
dem Hund aber auch nicht.
Aber diese Begegnung heute mittag hat klar gezeigt, dass Nero bei Hunden, die drohen, absolut unsicher ist und austillt.
Falsch: Sie hat gezeigt, dass er bei Hunden, die drohen, eher unsicher ist, und
dann austillt, wenn man ihn zwingt, sich diesen Hunden zu nähern und sich mit ihnen eben
nicht auf seine Art auseinanderzusetzen.
Er
wollte beschwichtigen und dem Konflikt aus dem Wege gehen. Diese Möglichkeit habt ihr ihm mit der Entscheidung: "Okay, dann gehen wir halt vorbei!" verbaut. Und ihn dabei massiv zusätzlich unter Stress gesetzt, weil ihr ihn ja förmlich vorbei gezerrt habt, sodass er nichtmal entscheiden konnte, wie - also zB defensiv, beschwichtigend, in weiterem Bogen - er dort vorbeigehen sollte. Der hatte gar keine
Zeit mehr, sich irgendwie sinnvoll und "kopfgesteuert" (in dem Umfang, in dem Hunde das können) zu verhalten, der wusste eher nicht mehr, wo ihm derselbige stand.
Dann ist im Moment nur ein Umdrehen und die Situation auflösen möglich. Langfristig ist das Ziel, dass Nero soviel Sicherheit gewinnt, dass ihm auch drohende Hunde nicht diesen Stress bereiten und man ihn vorbei führen kann. Das wird aber dauern.
Richtig. Und das würde ich nicht als "nur" sehen. Es
ist so, dass Umdrehen/Ausweichen und Situation auflösen für ihn im Moment das Richtige ist, wenn der Abstand sichtlich zu eng ist.
Und ich bin gerade total mutlos, ob wir das je schaffen. Ich meine, wir haben in den 10 Tagen echt viel erreicht und ich bin stolz auf den Kleinen. Ich dachte, die restlichen 2 Wochen üben wir, dass ich ihn führe und ihm Sicherheit gebe. Und jetzt denke ich, da ist noch so viel Arbeit und wer weiß, ob ich das schaffe,
Klar, warum nicht?
Aber nicht in weiteren 10 Tagen. Andererseits würde ich das Geld für eure Trainerin absolut nicht als "rausgeschmissen" betrachten, denn es hat nicht nur Nero viel gelernt, sondern ganz offenbar auch du noch ne Menge über ihn.
auch in solchen Situatione wie heute mittag, wenn er wirklich panisch wird, die Sicherheit auszustrahlen. Mein Verstand sagt, ja, gib Euch Zeit, vertrau auf Euch, aber mein Bauch ist gerade einfach noch zu mutlos.
Zeit, Vertrauen und vor allem ruhige, aber konsequente Arbeit... auch ruhig noch ne Weile unter Anleitung - dann wird das auch. Denke ich schon.
Zumindest soweit, dass ihr beide damit leben könnt. Wenn er nie der "perfekte" Hund wird... herrjeh. Watt soll's. Hauptsache, ihr kommt gut zurecht.
Und wenn doch - umso besser.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ich brauche einfach gerade etwas Zuspruch von anderen Hundehaltern...
Ja, das kann ich verstehen. Ist schon nicht so schön, sowas.
Andererseits kann ich dir versichern: Man gewöhnt sich dran. Irgendwann hat man Routine, dann macht es einem nichts mehr. Oder nicht mehr so viel. Einfach, weil man sich nicht mehr dafür verantwortlich fühlt, ob, warum und wie der Hund sich aufregt, sondern nur dafür, dass alles möglichst ruhig über die Bühne geht. Da der Hund sich in dem Moment eh über die Maßen aufregt, kann man den eigentlich auch aus der Gleichung nehmen....
Ich glaube aber, dass ihr, wenn ihr jetzt ruhig und ohne zuviel Druck weiter vorgeht, mit Nero nie in diese Bereiche kommen werdet - sodass für euch solche Begegnungen hoffentlich die Ausnahme bleiben, nicht zur Regel werden.