t-online: Herr Reisner, der "Islamische Staat" hat sich zu dem Terroranschlag nahe Moskau bekannt, Wladimir Putin und sein Regime versuchen allerdings, die Tat der Ukraine anzuhängen. Was bezweckt der Kreml damit?
Markus Reisner: Putin und seine Entourage wollen die Ukraine und den Westen noch weiter diskreditieren – gerade und vor allem bei der russischen Bevölkerung. In den russischen sozialen Medien lässt sich eindeutig beobachten, wie der Anschlag dem Westen in die Schuhe geschoben wird. Beweise für diese Behauptung finden sich allerdings keine.
Auf stichhaltige Beweise kommt es in Putins
doch gar nicht mehr an?
So ist es. Selbst als sich der "Islamische Staat" zu dem Anschlag bekannt hatte, wurde dies sofort in die ideologische Konstruktion eingebaut. Denn der "Islamische Staat" wäre nichts weiter als eine Terrororganisation, die vom Westen aufgebaut worden sei. Das ist eine von vielen abstrusen Theorien, die gerade in die russischen sozialen Medien wabern – und reichlich geteilt werden.
Und die nicht hinterfragt werden?
Da gibt es kaum kritische Fragen. Reichlich wird darüber diskutiert, warum die Täter Geld erwartet hätten für den Anschlag und sich nicht in die Luft gesprengt haben wie bei früheren Anschlägen. Das deute angeblich auf eine auswärtige Beauftragung durch Hintermänner hin. Wie etwa den ukrainischen Geheimdienst. Die Realität ist allerdings eine andere.
Gerade der "Islamische Staat" hat als Terrororganisation die Taktik aufgegeben, dass sich seine Anhänger bei Anschlägen in die Luft sprengen mussten.
IS-Terroristen sollten nach Möglichkeit entkommen und an anderer Stelle weiterkämpfen?
Die Terroristen des IS sollten töten und dabei maximale Grausamkeit anwenden, ja. Dann war ihre Flucht vorgesehen. Der IS unterscheidet zwischen dem "Istishhad", also dem Selbstmordattentäter, und den "Igimash", dem Kämpfer, der töten und überleben sollte. Insofern passen die aktuellen Geschehnisse ins Schema, allerdings ohne, dass dies in Russland entsprechend zur Kenntnis genommen wird. Im letzten Jahr hat die Ukraine wiederum der Rat aus den
erreicht, durch Kampagnen hinter den russischen Frontlinien für Verunsicherung und Furcht zu sorgen. Das wird nun als Vorwand genommen, die Ukraine des Anschlags zu bezichtigen. Dabei war von Terroranschlägen selbstverständlich niemals die Rede.
Bei der Beerdigung des Kremlgegners
Anfang März zeigte sich, dass die russische Opposition im Land selbst noch existiert. Wird Putin nun auch gegen sie vorgehen?
Putin und seine Entourage nutzen den Anschlag für ihre Zwecke aus. Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung wird das Regime die Schrauben noch enger anziehen. Unliebsame Vereine, Vereinigungen und Personen können noch leichter Opfer von Repressalien werden, alles unter dem Vorwand des Antiterrorkampfes.
Putins Sicherheitskräfte gehen alles andere als rechtsstaatlich und zimperlich vor.
Es kursiert ein aktuelles Video, das vier der Tatverdächtigen zeigt. Diese Männer sind offensichtlich gefoltert worden. Warum wird ein derartiges Video veröffentlicht? Es zeigt, dass das Regime mit äußerster Brutalität vorgeht, Putin will niemanden ungestraft lassen – genau dieser Eindruck soll entstehen. Nicht bei uns im Westen, wir sind Putin völlig egal. Sondern bei der russischen Bevölkerung. Bei diesen Menschen soll mittels des Informationsraums Stimmung für den gemeinsamen Kampf gemacht werden.
Video | Terrorverdächtige erscheinen übel zugerichtet vor Gericht