Zum Prozeß in Hamburg
Fünf Monate nach dem tödlichen Kampfhundeangriff auf den sechsjährigen Volkan in Hamburg hat am Freitag vor dem Landgericht die juristische Aufarbeitung des Geschehens begonnen.
"Ich hätte das Tier gar nicht halten dürfen." Die Einsicht von Silja W. kommt fünf Monate zu spät. Am 26. Juni starb der sechsjährige Türke auf einem Schulhof in Hamburg-Wilhelmsburg. Siljas Staffordshire-Hündin Gipsy und der Pitbull-Terrier Zeus ihres Freundes Ibrahim K. brachten dem Kind die tödlichen Bisswunden bei.
Die 19-jährige Silja W. räumte gleich zu Beginn des ersten Verhandlungstages eine Mitschuld an dem schrecklichen Geschehen ein, das seinerzeit bundesweit für Aufsehen gesorgt hatte. Sie habe "nicht rechtzeitig erkannt", dass ihre Staffordshire-Hündin für Menschen gefährlich geworden war, sagte sie. Es tue ihr "unendlich Leid". Sie hoffe nur, dass Volkans Eltern die Kraft finden werden, "mit dem großen Schmerz zu leben". Die Eltern vernahmen, noch immer tief von Trauer gekennzeichnet, im Gerichtssaal die von einem Dolmetscher übersetzten Worte. Auf die Frage, warum sie sich nicht bereits früher entschuldigt habe, sagte Silja: "Ich habe nicht das Recht, die beiden um Verzeihung zu bitten."
Die Hilflosigkeit der jungen Frau, Probleme zu bewältigen, scheint denn auch mit Auslöser für die letztendlich tragischen Ereignisse zu sein.
Alarmsignale, dass sie ihren American Staffordshire Terrier nicht mehr im Griff hatte, gab es schon vor dem Unglückstag von Wilhelmsburg. So biss sich das Tier mit einem anderen Hund, fiel eine Frau an und attackierte ein Mädchen. Damals habe die Halterin überlegt, ob sie das Tier, welches sie als Welpe im Alter von 5 Wochen bekommen hatte, abschaffen sollte. "Ich habe es nicht getan, ich habe so sehr an dem Hund gehangen, aber es wäre richtig gewesen", sagte sie vor Gericht.
Einige Zeit trug ihr Hund daraufhin einen Maulkorb, doch als der verschlissen war, lief das bissige Tier wieder ohne Korb umher. Wie sie denn ihr Tier erzogen habe, wollte der Richter wissen. Als die Angeklagte antwortete, stellte sich heraus, dass die Angeklagte ihr Tier offenbar nicht unter Kontrolle gehabt hatte. Sie und ihr Freund seien zuletzt mit den Tieren immer weniger in die Öffentlichkeit gegangen, weil die Menschen Angst vor den Hunden gehabt hätten. Die Angeklagte bestätigte, dass ihr Freund seinem Hund gelegentlich eine schwere Eisenkette über den Nacken hängte, um das Tier weiter zu kräftigen.
Die beiden Angeklagten bedienen die klassischen Klischees von Kampfhundehaltern. Beide gingen keiner Arbeit nach, verbrachten die meiste Zeit gemeinsam in der Wohnung. Mit den Hunden ließ sich offenbar das Ego aufpolieren, wenn sie "unter Freunden unangeleint" für Respekt sorgten.
Eigentlich, so sagte die 19-Jährige aus, wollten die beiden an jenem Tag einkaufen gehen, ohne die Hunde. Die mussten schnell noch Gassi geführt werden, was Ibrahim erledigte. Er sei mit beiden Hunden unangeleint auf den an das Schulgelände angrenzenden Hof gegangen, sagte Silja W. aus. Als die Hunde auf die spielenden Schulkinder aufmerksam wurden, sprangen sie über eine anderthalb Meter hohe Mauer und stürzten sich auf die Schüler. Dabei brachte die Hündin Volkan zu Fall und biss ihn in den Kopf. Später stürzte sich auch noch der Rüde von Ibrahim auf den Jungen.
Sie sei in ihrer Wohnung gewesen, als ihr gemeldet wurden, die Hunde griffen Kinder an, berichtete die 19-jährige Angeklagte. Sie sei auf den Schulhof gelaufen und habe versucht, ihren Hund von dem Kind wegzureißen, sei aber zu schwach gewesen. Sie habe ihn einmal kurz losbekommen, "doch dann konnte ich sie nicht mehr halten", sagte W. dem Gericht. Das Tier habe sich wieder auf den am Boden liegenden Jungen gestürzt. Dann habe sie nur noch geschrien: "Erschießt die Hunde", sagte die Frau. Mit Schüssen aus einer Dienstpistole setzte die gleichfalls alarmierte Polizei einen Schlusspunkt unter das Schreckensszenario. Das Gericht muss nun herausfinden, welche Verantwortung die beiden Halter tragen, deren Tiere zu Kampfmaschinen entarteten.
Ibrahim K. selbst machte keine Aussage. Er sei bedroht worden, deshalb wolle er abwarten, hieß es. Am kommenden Verhandlungstag sei aber mit seiner Aussage zu rechnen. Sein Verteidiger sagte, er halte die Vorwürfe nicht für gerechtfertigt, da das Verhalten der Hunde nicht vorhersehbar gewesen sei. Daher rechne er mit einem Freispruch.