Interessanter Beitrag. Das haben mir zwar meine TAin und auch der Kardiologe gesagt, aber ich hatte ein schrecklich schlechtes Gewissen, weil ich Grumpy nicht rechtzeitig gefunden habe und ihm hätte helfen können. Nein ich hätte nichts tun können.
Von Ralph Rückert, Tierarzt
Ich glaube, dass in keinem Teilbereich der Medizin eine derartig krasse Diskrepanz zwischen öffentlicher Vorstellung und der harten Realität besteht wie bezüglich der Wiederbelebung (CPR, Reanimation) nach Herzstillstand, ob nun durch Laien-Ersthelfer oder durch medizinisches Fachpersonal.
Wir kennen natürlich alle diese unzähligen Filmszenen, in denen Reanimationssituationen dargestellt werden, fast immer begleitet vom wahrscheinlich meistverwendeten Ausruf der Filmindustrie, „Komm schon!“ bzw. „Come on!“. Man muss da unterscheiden zwischen der Darstellung von Wiederbelebungen durch medizinisches Personal in einschlägigen Serien und Filmen und der Laienreanimation außerhalb von Krankenhäusern. Bezüglich der Erfolgsquote von in Kliniken stattfindenden Wiederbelebungen in bekannten Medizin-Serien (ER, Chicago Hope, Grey’s Anatomy, etc.) gibt es eine Übersichtsuntersuchung, die eine geradezu unglaubliche Erfolgsquote von 77 Prozent ermittelt hat, eigentlich immer mit der Implikation auch längerfristigen und unbeschadeten Überlebens. Es wurde nur eine einzige Falldarstellung gefunden, bei der der Patient nur mit offensichtlichen neurologischen Einschränkungen überlebte.
Bei der Darstellung von Laienreanimationen wird es häufig so richtig abenteuerlich. Da wird zum Beispiel auf Ertrunkenen (wieder unter wiederholten Komm-Schon-Ausrufen) ein bisschen zärtlich rumgedrückt und zwei, drei mal angedeutet beatmet, dann spotzt die Person plötzlich mehr oder weniger viel Wasser aus, hustet noch fünf Sekunden ganz fürchterlich, lächelt im Anschluss tapfer-dankbar mit etwas zittrigen Lippen, um ein paar Minuten später wieder lebhaft durch die Landschaft hüpfen. Selbst Personen, die aufgrund kardialer Ursachen zusammenklappen, liegen meist in der nächsten Szene (ebenfalls tapfer lächelnd und der Form halber noch ein bisschen verkabelt) in ihrem Krankenhausbett und lösen den Kriminalfall dann eben von dort mit dem Laptop.
Diese enorm optimistische Darstellung der Erfolge von Reanimationsbemühungen auf breiter Ebene hat ganz klar einen Effekt auf uns, gegen den man sich fast nicht wehren kann. Man geht ganz selbstverständlich von viel zu hohen Erfolgsquoten aus. Selbst ich war als noch junger Tierarzt immer zutiefst enttäuscht und frustriert, wenn ich einen Patienten nicht erfolgreich wiederbeleben konnte oder aber ein Tier, bei dem es mir gelungen war, hinterher unter schwersten neurologischen Einschränkungen zu leiden hatte. Dabei ist dieses Outcome, also entweder Tod oder schwere, oft mit einem Weiterleben nicht oder kaum vereinbare Behinderung, eher die Regel als die Ausnahme, nicht nur beim Tier, sondern auch beim Menschen.
Mal ein paar Zahlen aus wissenschaftlichen Untersuchungen:
– In einer holländischen Studie zu 160 ertrunkenen Kindern, bei denen eine Reanimation durchgeführt wurde, waren ein Jahr nach dem Vorfall noch 44, also etwas über ein Viertel, am Leben, teilweise mit mehr oder weniger starker Behinderung. Und eines ist ganz, ganz sicher: Jemand, der nach einem Herz- Kreislaufstillstand durch Ertrinken erfolgreich reanimiert wird, macht danach nicht einfach weiter im Text, sondern landet stante pede im Krankenhaus und bleibt da eine ganze Weile.
– Bei erwachsenen Personen, die im Krankenhaus wiederbelebt wurden, starben 56 Prozent während bzw. trotz der Reanimationsbemühungen. Weitere 27 Prozent verstarben im weiteren Zeitverlauf, bevor sie entlassen werden konnten. 17 Prozent konnten lebend aus dem Krankenhaus entlassen werden, keineswegs immer nach Hause, sondern durchaus auch wegen schwerer Einschränkungen in Pflegeeinrichtungen. Ein Jahr nach der Entlassung waren nur noch 10 Prozent der Reanimationspatienten am Leben.
Natürlich sind das Durchschnittszahlen. Je nach Alter und den zugrundeliegenden Ursache(n) für den initialen Herz-Kreislaufstillstand gibt es Patientengruppen, bei denen die Erfolgsquoten besser oder noch schlechter ausfallen. Trotzdem sollten diese Zahlen klar machen, dass der Erfolg von Wiederbelebungsbemühungen nicht mal ansatzweise so rosig ausfällt, wie uns in Filmen und Serien suggeriert wird.
In der Tiermedizin, um die es hier in meinem Blog in erster Linie geht, müssen Sie als Tierbesitzer:innen Ihre diesbezüglichen Erwartungen noch einmal deutlich herunterschrauben. Reanimation (durch Fachpersonal) ist eines der wenigen Gebiete, auf dem wir der Humanmedizin weit (wirklich weit!) unterlegen sind. Das liegt zum einen daran, dass wir rein aus Kostengründen über kein organisiertes Rettungswesen verfügen und bestimmte Verfahren der Intensivmedizin nicht zur systematischen Anwendung bringen können. Zum anderen haben wir tatsächlich auch einfach zu wenig Übung und Routine. Wir sehen nun mal umständehalber viel, viel weniger Patienten, die man wiederbeleben könnte, als die Kolleginnen und Kollegen in einer humanmedizinischen Klinik mit ihren „Express-Zulieferern“ aus dem Rettungswesen. In einer mittelgroßen Tierarztpraxis können durchaus ein oder zwei Jahre vergehen, bis man mal wieder einen Patienten vor sich hat, bei dem Reanimationsbemühungen überhaupt Sinn machen.
Aufgrund dieser geringen Fallzahlen und nicht vorhandener statistischer Daten kann ich die Erfolgsquoten von Reanimationen in der Tiermedizin allenfalls aus dem Bauch heraus schätzen. Ich gehe davon aus, dass die Chancen auf ein komplett unbeschadetes Überleben wahrscheinlich pessimistisch gesehen bei nur ein, zwei Prozent liegen dürften, wild optimistisch gesehen bei fünf Prozent. Etwas besser schaut es eventuell spezifisch bei Patienten mit niedriger Risikoklasse aus, die während eines Eingriffs in Narkose einen Herz-Kreislaufstillstand erleiden, der durch gute Überwachung sofort erkannt wird. Aber auch da gilt: Entweder bringt man die Pumpe innerhalb kürzester Zeit (unter zwei, drei Minuten) wieder zum Ticken oder man kann es gleich bleiben lassen, weil man dann – selbst wenn es doch noch klappen sollte – mit schwersten neurologischen Schäden zu rechnen hat.
Angesichts der extrem bescheidenen Erfolgschancen, des unbestreitbaren Risikos für dauerhafte und oft mit einem artgerechten Leben nicht zu vereinbarenden Behinderungen und – damit das nicht unter den Tisch fällt – den happigen Kosten, die intensive und länger andauernde Reanimationsbemühungen mit sich bringen können, wäre mein Rat an Sie, dieses Thema vor Eingriffen in Narkose offen anzusprechen und für den Fall der Fälle Anweisungen zu treffen, wie es ja auch wir Menschen für uns selber machen. Zum Beispiel habe ich für mich schon seit Jahren geregelt, dass ich im Fall eines Herz-Kreislauf-Stillstandes NICHT wiederbelebt werden möchte. Es ist ethisch völlig okay und erleichtert überdies die Entscheidungsfindung für die Praxis oder Klinik, so eine Regelung auch für das eigene Tier zu treffen und entsprechend dokumentieren zu lassen.