10. April 2001
„Schutzhundeprüfungen sollten verboten werden“
Verhaltensforscher Erik Zimen: Mensch muss Alpha-Rüde werden
Von unserem Redaktionsmitglied Gitta Stahl
Landkreis. Leinenzwang und Maulkorbpflicht für bestimmte Hunderassen – das ist in den Augen des Verhaltensforschers Dr. Erik Zimen genau der
falsche Weg, beißende Hunde in den Griff zu bekommen. Er rät, rasseübergreifend alle auch nur im Ansatz aggressiv auffälligen Hunde aus der Zucht zu nehmen. Die Tiere sollten artgerecht, also ihrem wölfischen Rudelwesen entsprechend konsequent, aber liebevoll erzogen werden. Und Schutzhundeprüfungen sollten in Vereinen ganz verboten werden.In den Augen des Zoologen und Anthorpologen, der mehrere Jahre
in der Arbeitsgruppe von Konrad Lorenz arbeitete und jetzt auf Einladung der "Hundeschule Rocho" vor rund 50 Trainerinnen und Trainern aus der Region sprach, liegt hier die besondere Crux moderner züchterischer Fehlleistung. "Laut Beißstatistik stehen die in Verruf
geratenen Rassen wie Pitbull und Bullterrier sowohl absolut als auch nach Anzahl der auffälligen Hunde pro Rasse nicht an der Spitze, sondern Rottweiler, Deutscher Schäferhund und Dobermann."Doch gerade
diese Rassen genießen in Deutschland laut Zimen immer noch hohes Ansehen, die Zucht floriert. Für die Zuchtzulassung müssen sie aber zunächst die Schutzhundeprüfung bestehen. "Da bringt man den Hunden
erst das Beißen von Menschen bei und hofft, dass sie später eine natürliche Hemmschwelle genau davor haben." In seinen Augen dürften diese Prüfungen nur für Polizei- und Wachhunden zugelassen sein. Es ist fast alles menschengemachtes Leid, was die Tiere jetzt ausbaden müssen. Denn der Hund war so lange der beste Freund des Menschen, bis seine Nützlichkeit als Jagd- und "Rudelkollege" und der artgerechte Umgang nachließen. "Mit den ersten Hochkulturen wurden die Hunde zum Luxusobjekt, vorwiegend gehalten für die gesellschaftliche Jagd, das Prestige und das Gemüt", so Zimen.Die Mehrzahl der Hunde, die als Haus- oder Hofhunde gehalten werden, können ihre angeborenen Triebe überhaupt nicht mehr ausleben, weiß Zimen, der lange das Verhalten von Wölfen im Rudeln erkundete. "Auch Hunde sind absolute Rudeltiere.
Heutzutage aber werden die meisten einzeln gehalten. Sie können ihr Sozialverhalten nicht mehr an ihresgleichen ausbilden. Sie lernen nicht mehr, ihr Gebiss richtig und zurückhaltend einzusetzen. Sie
dürfen keine Löcher buddeln auf der Suche nach Mäusen und haben zu wenig Bewegung", bedauert der Verhaltensforscher.Dabei gehört das Beißen naturgemäß zum Wesen des Hundes. Mehrere Arten sind nach Zimen
zu unterscheiden. "Schon als Welpe unter Welpen steht Beißen hoch im Kurs." Doch das sei eher ein spielerisches Kräfte messen. Was manchmal richtig gefährlich aussehe, sei überwiegend ganz harmlos. "Und
natürlich beißen Hunde bei der Jagd. Kleine Beutetiere werden einfach nur durchgekaut, größere wie Hasen werden fest gepackt und zu Tode geschüttelt und große wie Rehe durch Kehlbiss erlegt."Gebissen wird
auch zur Verteidigung. Hier sind sowohl Angriffe von außen gegen sich und Rudelkollegen gemeint als auch Verteidigungskämpfe um die Rangfolge im Rudel. "Denn letzendlich strebt jeder die Alpha-Position an, also die Leithundposition im Rudel. Nur Alpha-Rüden dürfen sich paaren und Junge bekommen", so der Verhaltensforscher. Von Zeit zu Zeit wird also um Positionen gestritten."Dabei wird auch schon mal
schmerzhaft zugebissen. Beispielsweise beim Mobbing, wenn ein Hund aus dem Rudel gedrängt werden soll. Und bei Endkämpfen zweier gleichstarker Alpha-Anwärter." Grundsätzlich aber ist ein schlauer Hund ein "feiger" Hund. "Er muss jede Situation vermeiden, die für ihn
gefährlich werden kann." Und Kampf und Angriff bergen immer Gefahren, schränken die Jagdfähigkeit und damit die Überlebenschancen ein.
Reagieren die Vierbeiner heute häufig völlig anders, so ist das ein Erfolg fehlgesteuerter Züchtung, ist sich Zimen sicher.Den Hunden würde Aggressivität an- und normales Schmerzempfinden abgezüchtet.
"Und der Rest wird nicht selten mit Medikamenten unterdrückt." Damit ein Hund sich gut in sein menschliches Rudel ein- und unterordnet, muss er schon als Welpe lernen, dass Bisse, wie er sie selber
ausführt, weh tun, sagt der Experte. Deshalb schwört der Verhaltensforscher auf die frühe Sozialisation von Hunden in Welpenschulen und Begleithundekursen. Und "sein" Mensch müsse unbedingt der liebevolle, aber absolut konsequente Alpha-Rüde sein.
Bis dann
Sylvia & Kira