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Nach dem 9. November war bei den DDR-weiten Demonstrationen nicht nur ein wachsender Zulauf zu beobachten, sondern auch eine starke Gewichtsverschiebung hinsichtlich der vorherrschenden Losungen: Statt der Losung „
“ trat nun immer mehr „Wir sind
ein Volk!“ in den Vordergrund.
Ein ungelöstes Problem für Ost wie West blieb die anhaltend hohe Zahl der Übersiedler aus der DDR in die Bundesrepublik, die einerseits destabilisierende Lücken riss und andererseits eine beträchtliche Auffang- und Integrationsanstrengung erforderte.
An ihre Mitbürger gerichtet, verlas die über die DDR hinaus bekannte Schriftstellerin
, die bereits am Vorabend der Grenzöffnung zum Bleiben in der DDR aufgefordert hatte, am 28. November im Fernsehen einen Aufruf „
“, zu dessen 31 Erstunterzeichnern DDR-Künstler und Bürgerrechtler ebenso gehörten wie kritische SED-Mitglieder. Während der Pressekonferenz am gleichen Tage verlas der Schriftsteller
den Aufruf. Binnen weniger Wochen danach kamen 1,17 Millionen Unterschriften zusammen.
Die Kernpassage lautete:
„Entweder können wir auf der Eigenständigkeit der DDR bestehen und versuchen, mit allen unseren Kräften und in Zusammenarbeit mit denjenigen Staaten und Interessengruppen, die dazu bereit sind, in unserem Land eine solidarische Gemeinschaft zu entwickeln, in der Frieden und soziale Gerechtigkeit, Freiheit des einzelnen, Freizügigkeit aller und die Bewahrung der Umwelt gewährleistet sind. Oder wir müssen dulden, daß, veranlasst durch starke ökonomische Zwänge und durch unzumutbare Bedingungen, an die einflußreiche Kreise aus Wirtschaft und Politik in der Bundesrepublik ihre Hilfe für die DDR knüpfen, ein Ausverkauf unserer materiellen und moralischen Werte beginnt und über kurz oder lang die Deutsche Demokratische Republik durch die Bundesrepublik Deutschland vereinnahmt wird. Noch haben wir die Chance, in gleichberechtigter Nachbarschaft zu den Staaten Europas eine sozialistische Alternative zur Bundesrepublik zu entwickeln. Noch können wir uns besinnen auf die antifaschistischen und humanistischen Ideale, von denen wir einst ausgegangen sind.“
Kohl forcierte das Wiedervereinigungsanliegen zunächst in keiner Weise, um erwartbaren Verstimmungen im Ausland nicht Vorschub zu leisten.
Sein engster außenpolitischer Berater zu dieser Zeit,
, schöpfte aber diesbezüglich Zuversicht aus Umfrageergebnissen vom 20. November, wonach 70 Prozent der Bundesbürger für die Wiedervereinigung eintraten und 48 Prozent sie innerhalb von zehn Jahren für möglich hielten. Mehr als 75 Prozent befürworteten finanzielle Hilfen für die DDR, allerdings ohne Steuererhöhungen.
Aus einem Gespräch mit
, einem hochrangigen Emissär Gorbatschows, entnahm Teltschik am Folgetag „elektrisiert“, dass Modrows Vorschlag einer Vertragsgemeinschaft zwischen beiden deutschen Staaten auf sowjetischer Seite bereits Planspiele über „Undenkbares“ angeregt hatte: Fragen zur deutschen Wiedervereinigung, zum Beitritt der DDR zur
und zur Allianzzugehörigkeit.
Teltschik hielt nun den Zeitpunkt für gekommen, ein Konzept für den Weg zur deutschen Einheit zu entwickeln und Kohl damit die „Meinungsführerschaft“ in der Wiedervereinigungsfrage zu verschaffen. In dem mit seinem Einverständnis entwickelten
brachte Kohl noch Korrekturen an und trug ihn für fast alle überraschend am 28. November 1989 im Deutschen Bundestag vor: Von Sofortmaßnahmen sollte der Weg über eine Vertragsgemeinschaft und die Entwicklung konföderativer Strukturen am Ende in eine Föderation münden.
Der Plan löste im Bundestag bis in die Opposition hinein zunächst breite Zustimmung aus, außer bei den
, die ähnlich wie die meisten DDR-Bürgerrechtler die Eigenständigkeit der DDR auf einem „
“ guthießen.
Teils skeptisch und gespalten zeigte sich die
. Während der frühere Berliner Regierende Bürgermeister und Altkanzler
schon am 10. November 1989 die Formel prägte: „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“, thematisierte der bald zum SPD-Kanzlerkandidaten gekürte
die DDR vor allem unter dem Aspekt unkalkulierbarer Finanzrisiken und einzudämmender Übersiedlerzahlen.
Außenminister Genscher (
) hielt mit Blick auf die multilaterale Einbindung und die europäische Integration primär ein behutsames Vorgehen in der deutschen Frage für nötig und musste sich doch, stellvertretend für den Bundeskanzler, ein hartes Statement Gorbatschows zu diesem allseitig unabgestimmten Alleingang Kohls anhören.
Auf privater und regionaler Ebene setzten noch 1989, vermittelt durch unzählige Begegnungen und Kontakte, erste Hilfsmaßnahmen westdeutscher kirchlicher und kommunaler Initiativen ein, die zu vielerlei Ost-West-Partnerschaften auf unterer Ebene führten: Wiederherstellung verrotteter Straßen und Brücken im Grenzübergangsbereich, technische Hilfen für kommunale Verwaltungen; auf Länderebene zuerst die sogenannte „Hessen-Hilfe“ für Thüringen und eine ähnliche Hilfszusage aus Bayern für Sachsen (Länder, die im Sinne der
zu diesem Zeitpunkt (Dezember 1989) gar nicht existierten).