Das ist etwas, was ich hier leider schon immer ganz schlimm fand. Und das mag ich auch im wahren Leben an Menschen überhaupt nicht, wenn sie so einen eingebauten Zitate-Speicher haben, aus dem sie noch ewig später irgendeinen Nebensatz des Gegenübers abrufen können, aus welchem sie dann jederzeit einen passenden Vorwurf konstruieren können.
Der ist hier ja quasi systemimmanent - sprich: Selbst wenn jemand ein Gedächtnis wie ein Sieb haben sollte, reicht es ja, die Suchfunktion zu nutzen... wenn man denn unbedingt möchte. Die gibt es im echten Leben - zum Glück - nicht.
Aber ich wollte nochmal allgemein was zur Selbst- und Außenwahrnehmung schreiben, weil ich da jetzt einen Nachmittag drüber nachgedacht habe. Ich versuche auch, es kurz zu machen und nicht zu dozieren.
Ich denke, hier spielen zwei Faktoren zusammen.
Der eine ist, dass man offenkundig die "eine Seite" als umso extremer und auch undifferenzierter ablehnungswürdig einschätzt, je fester man sich selbst auf der anderen Seite verortet sieht und sich im entsprechenden Umfeld bewegt - bzw. dass man dann unter Umständen auch umgekehrt wegen der Größe der Meinungsverschiedenheit eine "verschärfte Einschätzung" des eigenen Standpunktes vermutet.
Beispiele finden sich da quer durch's Spektrum. Ob es die aufrechte linke SPD-Wählerin ist, die behauptet, schon mit Leuten, die dem rechten Flügel der CDU nahestehen, kein (privates) Gespräch führen zu wollen, weil ihre Zeit ihr dafür zu schade ist und sie Rechte und ihre intolerante Art halt nicht ertragen kann... wie eine (verstorbene) Freundin von mir, deren Alltag dann aber doch deutlich entspannter und toleranter aussah, als man nach dieser Aussage hätte meinen können...

Oder mein Vater, der ja bekanntermaßen sehr weit rechts dachte, und der der festen Überzeugung war, wer mit den Grünen sympathisiert, die ja alle so unwissenschaftlich gefühlsbetont sind, der sympathisiert auch mit der RAF (also, ich zum Beispiel... so traurig, er hätte ja gedacht, ich hätte Verstand, aber offenbar hätte ich wohl doch keinen...)
(Die beiden haben sich bei ihrem einzigen Treffen übrigens sehr gut und differenziert unterhalten und anschließend stets sehr gut voneinander gesprochen.

)
Oder eine andere Bekannte aus einem anderen Forum, in dem ich moderiere, die - von meinem Standpunkt aus - extrem links und aktivistisch ist, und die nach einer Streit schlichtenden Aktion von mir, mit der
ich eigentlich recht zufrieden war, hinter meinem Rücken anfing, mich als AfD-Sympathisantin und -Wegbereiterin darzustellen, weil ich nicht allein
ihre Partei ergriffen und wie von ihr gefordert ausnahmslos alle ihre Kontrahenten wegen zu "rechter" Ansichten umgehend gesperrt hatte...
(Das war übrigens eine der wenigen Personen, die ich danach auch privat geghostet habe, nachdem sie sich im Forum extrem zurückgezogen hat. Weil ich bis heute keine Ahnung habe, wie ich mit jemandem, der so denkt, reden soll, ohne dass hinterher wieder seltsames Zeug über mich kursiert.
Ich meine, ok, krasse Beispiele vielleicht, aber ich finde, die demonstrieren recht gut, wie unterschiedlich ein und dieselbe Person je nach Standpunkt der anderen offensichtlich wirkt, oder generell, wie verschiedene Personen ein und dieselbe politische Orientierung einschätzen.
Kurz: Vielleicht so: Je weiter man selbst von etwas weg ist, desto mehr verschwimmen die Unterschiede. Und desto seltener guckt man es sich zwischendurch auch näher an, um zu schauen, ob die Einschätzung noch stimmt.
Bestimmte rechtere Teile der CDU halten schon den linken Flügel der SPD für linksextrem und alles noch weiter links für indiskutabel. Aus Prinzip und weil das schon 1982 so war.

Dass gerade die Grünen sich so weit zur Mitte bewegt haben, dass man die Partei heute nicht mehr mit der von damals vergleichen kann, ist ihnen schlicht noch nicht wirklich aufgefallen. Dass die Linke immer mehr in der Demokratie angekommen ist und gerade die meisten alt-PDSler ausgezogen sind, ist auch nicht so wirklich ins Bewusstsein mancher eher konservativer Wähler und Politiker gekommen. Die fremdeln immer noch - und ich verstehe das sogar - mit der PDS-Vergangenheit und halten sie für nicht vertrauenswürdig.
Naja, und umgekehrt sind schon Teile der CDU der aufrechten Linken viel zu "rechts", um diskutabel zu sein. CDU rechts, AfD rechts, Die Heimat rechts, die Identitären rechts... alles polittheoretisch richtig, aber das heißt ja nicht, dass die sich alle untereinander toll finden.
Die AfD andererseits punktet in ihrer Blase damit, dass sie die CDU als linksgrün unterwandert darstellt, und vieeel zu liberal und sozial und Geld für die falschen Leute verschwendend und damit "links"... wie alles andere hier im Land woke und links ist.
Ist eigentlich bei diesen Richtungsdefinitionen, die im Land kursieren, kein Wunder, dass der Kahn einen Schlingerkurs fährt...
Dass man sich zuweilen dabei fragt, worüber wir hier alle diskutieren, ist glaube ich kein Wunder. Und dass der eine oder andere sich falsch eingeordnet und zu Unrecht beschuldigt fühlt, auch nicht, einfach weil schon so einfache Begriffe wie rechts oder links ja, wie wir oben gesehen haben, von der CDU bis zur Antifa (und darüber hinaus) einfach alles bedeuten können. Also, zumindest links kann das. Rechts fängt vermutlich bei Teilen der FDP an und endet irgendwo bei der Wehrsportgruppe Hoffmann. Also, deren Nachfolgern.
Dazu kommt, dass man sich halt im Forum auch immer nur Auszugsweise liest.
Also, ich zB kritisiere ja zuweilen scharf bestimmte Teile und bestimmte Wähler der CDU.
Wobei das - mir ist das klar, aber vielleicht nicht jedem Leser - halt hauptsächlich die Freunde und Parteikollegen von meinem jüngsten Bruder sind. Also, junge (jetzt nicht mehr ganz so junge) Männer vom Land, die gern große Sprüche klopfen und mir damit zuweilen auf den Zeiger gehen.

Halte ich alle CDU-Wähler für so gestrickt? - Um Gottes Willen, bestimmt nicht.
Halte ich alle CDU/CSU-Politiker für Söder-Klone oder Spahn-Verschnitte, also alle gleich schlimm? - Definitiv auch nicht.
Ihr werdet von mir über unseren Ministerpräsidenten bisher kein negatives Wort hören - der führt recht geräuschlos eine der besseren Landesregierungen hier (übrigens schwarz-grün). Und auch unser Bürgermeister (eigentlich nur gewählt, weil er denselben Namen trägt wie diverse andere Bürgermeister und wohlbekannte Lokalpolitiker vor ihm, Schütze ist und halt CDU) ist ein sympathischer Typ, der seine Arbeit ganz gut macht. Und da gibt es auch noch andere. Über die schreibe ich halt seltener.
Also könnte, wer hier nur liest, ja denken, ich würde die CDU grundsätzlich so einschätzen, wie die Leute, die ich kritisiere (alles Spahns, Wadepuhls und Klöckners), und die Wähler wie die Freunde meines Bruders.
Und wenn ich
dann jemandem zuschreibe, CDU zu wählen (und ich finde, wenn man zB wie
@sleepy bekennender Fan von Philip Amthor ist, ist das jetzt keine so weit hergeholte Idee, dass man den dann auch wählt... ? )
also, wenn ich dann jemandem zuschreibe, CDU zu wählen, dann
muss derjenige ja glauben, ich würde ihn oder sie für so einen Sprücheklopfer wie meinen Bruder und Konsorten halten, die freiwillig eine Partei voller Spahns wählen.
Ganz klar - da wäre ich dann auch beleidigt.
Dabei ist mein Blick sowohl auf die CDU als auch auf deren Wählerschaft viel differenzierter. Ich würde die selbst nie mehr wählen, aber das ist meine Sache, und was jemand anders wählt, ist seine oder ihre Sache. Das einzige, was ich kritikwürdig fände, wäre jemand, der eine Partei wählt, die eben nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht.
(Aber da fängt's dann schon wieder an. Dass die AfD das aus meiner Sicht nicht tut, sieht deren Wählerschaft komplett anders - Bei denen ist sie die einzige Partei, die das tut.)
Ob das aber wirklich alles so rauskommt, wenn man nur liest was ich schreibe - und mich noch nie gesehen hat? - Keine Ahnung. Weiß ich nicht.
Immerhin habe ich den realen Beweis, dass man aus dem, was ich schreibe, so ziemlich
alles herauslesen oder eher hineinlesen kann. Also vermute ich eher: Nein.
