Lengerich : Verordnung, die nur Unordnung schafft

merlin

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Lengerich
Verordnung, die nur Unordnung schafft

-mw- Lengerich. Hunde werden zu Ladenhütern, Tierfreunde müssen für ihre Lieblinge, sofern sie zu den »Anlage-Hunden« gehören, die behördliche Erlaubnis saftig bezahlen, und die Ordnungsämter, die zuständig sind für die Umsetzung der Landeshundeverordnung, schließen sämtliche Augen und möchten von der ganzen Hundeproblematik nichts mehr wissen. Das NRW-Ministerium von Bärbel Höhn stiftete mit der Verordnung, die doch eigentlich für Ordnung sorgen sollte, Unordnung an allen Fronten. Die ganze Sache ist ziemlich verfahren. Doch einige Hundefreunde aus dem Tecklenburger Land, darunter auch Annelie Susdorf aus Lienen, versuchen nun seit Monaten eine vertretbare Linie in das Durcheinander zu bringen. Die Kuvasz-Züchterin Barbara Wichmann aus Ladbergen widersetzt sich der Anordnung, nach 28 Jahren Erfahrung mit ihren Hunden einen Sachkundenachweis zu erbringen und auch die anderen Forderungen zu erfüllen. Gegen den Bußgeldbescheid in Höhe von 500 Mark legte ihr Anwalt Widerspruch ein. Am 3. April ist die Verhandlung in der Hauptsache beim Amtsgericht Tecklenburg.
Das Tierheim in Settel ist ziemlich voll. »Große Hunde, auch wenn sie gar nicht auf der Liste der sogenannten gefährlichen stehen, sind schwer oder gar nicht mehr vermittelbar. Potenzielle Hundehalter sind durch die Auflagen der Verordnung verunsichert und werden abgeschreckt. Nach Erlass der Verordnung haben wir wochenlang keinen einzigen größeren Hund vermitteln können«, schildert Marlene Klatt, Vorsitzende des Tierschutzvereins Lengerich, die Situation. Inzwischen habe sich die Situation etwas entspannt, doch große Hunde blieben immer länger im Tierasyl als dies vor der Verordnung der Fall gewesen sei. Die Vermittlung der sogenannten »Anlage-Hunde« sei so gut wie aussichtslos, unabhängig vom Charakter und der tatsächlichen Gefährlichkeit der Tiere.
Die Auflagen für die Haltung dieser Hunde schreckten ab, sagt Marlene Klatt. Ein solcher Hund dürfe nur dann gehalten werden, wenn ein »besonderes Interesse« nachgewiesen werde, dessen Beurteilung in der Willkür der Behörden liege und faktisch nicht zu erbringen sei. Außerdem verursache das Erlangen dieser Erlaubnis erhebliche Kosten, bis zu 1000 Mark. Wer sein Tier wenigstens einigermaßen artgerecht halten und vom Maulkorbzwang befreien lassen wolle, müsse nochmals etwa 100 Mark für den »Verhaltenstest« drauflegen. Für die Befreiung vom Maulkorbzwang werden weitere Kosten fällig, die ebenfalls bis zu 1000 Mark betragen können.
Weitere Kosten entständen durch das polizeiliche Führungszeugnis, das Ablegen des Sachkundenachweises und das Chippen. Die Folge sei, das solche Hunde das Tierheim nicht mehr verlassen könnten. Die Tierschutz-Vorsitzende bezeichnet auch die sogenannte Sachkundeprüfung als Farce. »Sie dient vielleicht dem Auffüllen von Behördenkassen, jedoch am wenigsten dem Schutz vor gefährlichen Hunden. Hier wurde eine Chance verpasst, Hundehaltern tatsächliches Wissen über verantwortungsvolle Hundehaltung beizubringen«, kritisiert sie.
Es gebe in Settel bereits einige Opfer der Hundeverordnung. Hunde, die von den Besitzern ausgesetzt worden seien. Darunter befinde sich auch eine American Staffordshire Hündin, die im Dezember in Dörenthe gefunden wurde, mit Maulkorb versehen, angebunden an einem Straßenschild. Sie sei ein absolut gutartiger, freundlicher und aufgeschlossener Hund. Auf Grund des Charakters hätte man den Hund vermitteln können, wegen seiner Rasse und der Hundeverordnung jetzt nicht mehr, schildert die Tierschutz-Vorsitzende den Widersinn der Festlegung.
Der Vorstand des Tierschutzvereins und nachfolgend die Mitgliederversammlung hätten beschlossen, grundsätzlich keine behördlich beschlagnahmten Hunde, insbesondere die von den Anlagen der Verordnung, mehr anzunehmen, es sei denn, es lägen tierschutzrelevante Gründe vor. Das Tierheim wäre sonst bald mit nicht vermittelbaren Hunden überfüllt, da eine Tötung der Hunde allein aufgrund ihrer Rassezugehörigkeit für Tierschützer nicht vertretbar sei. »Es ist voraussehbar, dass das Tierheim bei den beschränkten Aufnahmekapazitäten seine vertraglichen Verpflichtungen zur Aufnahme der Fundtiere nicht mehr erfüllen könnte und über kurz oder lang bei der bekannt dünnen Finanzbasis vor dem wirtschaftlichen Ruin stände«, gibt Marlene Klatt zu bedenken.
Wie gestern aus Tierschutzkreisen verlautete, laufen im Moment allerdings Gespräche und Überlegungen, die von den Ordnungsämtern beschlagnahmten Hunde doch im Setteler Tierheim aufzunehmen.

Marlene Klatt kritisiert ferner die »Scheinsicherheit«, die der Bevölkerung durch die Landeshundeverordnung vorgegaukelt wird. Die Verordnung schütze nicht vor gefährlichen Hunden. Sie habe aber »Tausende unbescholtener Hundehalter stigmatisiert, kriminalisiert und zu Bürgern zweiter Klasse abgestempelt«. Und: Sie habe die Tierheime vor große Probleme gestellt, für die keine Lösungen angeboten werden.
Als »stigmatisiert, kriminalisiert und ins soziale und moralische Abseits gerückt« fühlt sich auch Barbara Wichmann, die seit 28 Jahren ungarische Hirtenhunde (Kuvasz) züchtet. »Nun sollte ich eine Erlaubnis zur Haltung meiner Hunde beantragen, ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen und Fragen beantworten, die selbst ein Arzt nicht beantworten dürfte«, sagt sie entrüstet. Sie protestierte bereits 2000 nach dem Erlass der Landeshundeverordnung NRW (wir berichteten). Ihre vier Hunde hätten die vom Verein geforderte Wesensüberprüfung abgelegt, die als Sachkundenachweis gelte. Ihre Zwingerhaftpflichtversicherung sei schadensfrei, alle Tiere seien tätowiert und gechipt, die Zucht sei angemeldet.
Sie habe die Fragebögen der Gemeinde nicht ausgefüllt und ihren Anwalt eingeschaltet, so die Ladbergenerin. »Wir halten die Landeshundeverordnung, die Ermächtigungsgrundlage für das Begehren des Ordnungsamtes ist, in zahlreichen Punkten für grundrechtswidrig«, sagt sie. Daraufhin sei ein Bußgeldbescheid in Höhe von 500 Mark gegen sie erlassen worden. Er folgte der Widerspruch, im April nun die Verhandlung (siehe oben).
Nach 15 Jahren verantwortungsvoller Haltung von Rottweilern, die jeweils konsequent erzogen wurden und »ein hohes Maß an sozialer Sicherheit und gelassener Menschenfreundlichkeit entwickelten«, fühlt sich auch Annelie Susdorf aus Lienen ungerechtfertigt behandelt und bestraft für die entsetzlichen Unfälle, die aber auf das Konto von Zeitgenossen gehen, die offensichtlich keinen Respekt vor der körperlichen Unversehrtheit von Mitmenschen und dem Tierschutz haben. Die Hundeverordnung ist ihrer Meinung nach ein bürokratisches Monstrum, dass die Menschen nicht vor tatsächlich gefährlichen Hunden schützt, sondern die unauffälligen, braven Hunde abstraft.
»Nach Inkrafttreten der Hundeverordnung zeigte unser Hund Verhaltensstörungen wegen des Maulkorbs. Er versteckte sich unter dem Tisch und wollte lieber gar nicht spazierengehen, als den Maulkorb angelegt zu bekommen. Deshalb haben wir möglichst schnell die Voraussetzungen erfüllt, um zu einer Befreiung von Leinen- und Maulkorbzwang zu kommen«, berichtet die Lienenerin. Dennoch dauerte es nach ihren Worten ein halbes Jahr, um »Don« die »auferlegten restriktiven Maßnahmen der Politiker« zu ersparen. Notwendig war neben dem unfangreichen Papierkrieg, Sachkundenachweis, Chip-Implantat zusätzlich die erfolgreich abgelegte Begleithundeprüfung.
»Ich kann die Maßnahmen in Sachen Hundeverordnung nur teilweise nachvollziehen, da sie stark pauschalieren. Politiker sollten konsequent und mit verschärften Gesetzen die unverantwortlichen und gewissenlosen Hundehalter zur Verantwortung ziehen und nicht pauschal die vielen, vernünftigen Halter mit ihren gut sozialisierten Tieren kriminalisieren und drangsalieren«, kritisiert Annelie Susdorf. Sie kündigt an, dass sie sich auch weiterhin dafür einsetzen wolle, damit Politiker die Hundeverordnung modifizierten und bundeseinheitliche, adäquate und akzeptable Lösungen hinsichtlich der Gesamtproblematik fänden, die dem Menschenschutz und Tierschutz gleichermaßen gerecht würden.
Hoffnung schöpft die Lienenerin nach einem Besuch im Niedersächsischen Landtag: »Aufgrund einer Einladung hatte ich in der Anhörung Gelegenheit, Stellung zur komplexen Thematik zu beziehen, da man sich in einem Arbeitskreis der CDU-Landtagsfraktion jetzt für Sachargumente interessiert wegen einer Überarbeitung der Hundeverordnung. Das lässt hoffen.«
Doch damit ist noch lange nicht das Problem der Leute gelöst, die von aggressiven Hunden der Nachbarn bedroht und belästigt werden. Wie zum Beispiel die Familie Stork, Ladberger Straße 50. Vier Hunde eines benachbarten Gehöftes, die immer wieder frei herumlaufen, rissen wiederholt Hühner auf dem Grundstück der Familie Stork. »Ich habe den Kindern verboten, auf unserer Wiese zu spielen«, sagt Birgit Stork. »Man weiß ja nicht, was da alles passieren kann, wenn die Kinder wegrennen oder mal hinfallen.« Familie Stork wandte sich an das Ordnungsamt. »Die scheinen machtlos zu sein. Die Hunde laufen hier immer noch herum«, sagt die Mutter von Etienne (7), Leon (5) und Aylin (2).
Auch in anderen Fällen, wo aggressive Hunde sich auf Grundstücken von Nachbarn austobten, Menschen bedrohten und Katzen totbissen, beschlagnahmte das Ordnungsamt die Hunde nicht. Die Hüter der Ordnung haben ein Problem: Wohin mit den Hunden? Das Tierheim nimmt die Hunde nicht, weil sie nicht oder nur schlecht vermittelbar sind.
Nun gibt es einen Hoffnungsschimmer am Horizont für die Opfer der verantwortungslosen Hundehalter: Der Tierschutzverein will bei der Jahreshauptversammlung am 30. März über die Einweisung von behördlich beschlagnahmten Hunden in das Tierheim beraten und entscheiden. Vielleicht fällt die Entscheidung so aus, dass das Ordnungsamt der Stadt dann Leuten, die ihre Hunde unkontrolliert und als Gefahr für die Umgebung laufen lassen, wegnehmen wird. Damit die Opfer nachts schlafen, sich wieder ohne Furcht auf ihren Grundstücken bewegen und die Haustiere ihres Lebens sicher sein können.


Westfälische Nachrichten - 16. 03. 2001, 23.30 Uhr
 
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