Und das merke ich auch im Alltag. Sie nimmt alles so arg persönlich. Sie macht quatsch, ich sage ihr, dass das so nicht geht und sie sagt: dann Schlag mich halt tot
Dann gib mich ins Heim
Du liebst mich eh nicht
Ja und das ist so mega schrecklich.
Also, ganz zuerst: Du bist damit absolut nicht allein.
Und ja, das ist schlimm, und schwer auszuhalten.
Mein großer macht das auch. Wenn er sich angegriffen fühlt, wenn ihm was schief geht, oder manchmal, wenn er müde ist. Recht schnell, wenn er überfordert ist und seine Gefühle zu groß für ihn werden.
Und er hat auch eine ADHS-Diagnose.
Ich schreibe mal auf, was mir so einfällt.
Erstens:
Als du schreibst, "Sie ist so schusselig", "Ständig muss ich", dachte ich spontan an die Tochter von @pixelstall, die auch ADHS hat. Bei der war es auch so, dein Text war wie ein deja vu für mich.
Aber generell würde mich interessieren: Wie alt war deine Große, als sie in die Schule kam?
Und wie war sie sonst? "Extrem vernünftig", "eher noch kindlich", "von allem etwas"?
Denn was du beschreibst, können erstmal ganz normale "Anpassungsschwierigkeiten" sein, wie sie oft auftreten, wenn Kinder emotional mit der Schulsituation noch überfordert sind (oder ihnen bestimme Dinge generell schwer fallen). Die werden umso häufiger als "ADHS" fehldiagnostiziert, je jünger das Kind eingeschult wird (darüber gab es vor ein paar Jahren mal eine Studie, die ich mir gemerkt habe, weil es bei meinem großen so war).
Ich denke außerdem zB, dass es bei ADHS sowas wie ein Spektrum gibt, von "etwas anders" bis "kommt nicht mehr zurecht mit der Umwelt" - manche Kinder lernen, mit der Schule zurechtzukommen, andere sind von dem INput so überfordert, dass sie innerloich vor lauter Stress (die Geräusche, die vielen anderen Leute, die Situation, in der immre wieder was neues dazu kommt) ständig am Anschlag sind und dann ab und zu austitschen.
Dazu kommt die etwas problematische Situation zuhause insofern, als die Kinder ihren Vater gern mögen, aber schon genau wissen, dass du ihn nicht mehr magst... das ist auf der emotionalen Ebene glaube ich für ein Kind trotz allem nicht einfach, weil es keine eindeutige Situation ist Und belastet sie noch mehr.
Es kann aber natürlich auch mehr dahinterstecken. Ich meine, du hast schon im Kindergarten geschrieben, dass sie zu extremen Gefühlsausbrüchen neigte - das kann (muss aber nicht) auch für ADHS ein Symptom sein, weil da ja an bestimmten Stellen ein paar dämpfende Neurotransmitter fehlen.
Für die Ausbrüche vom Großen habe ich von verschiedenen Fachleuten sehr verschiedene Erklärungsmöglichkeiten bekommen.
Die Analytisch aufgestellte Therapeutin sagte, dass er durch seine wirklich extrem vielen Infekte und sonstigen Geschichten, die ihn ja von klein auf geplagt hatten, kein positives Selbstbild entwickelt hat und dadurch, dass ich mit Kind und Hund viel allein und chronisch überfordert war, er das Gefühl bekommen hat (tatsächlich sagt er das manchmal auch, ganz falsch ist das wohl nicht), dass er dafür verantwortlich ist, nicht noch mehr Schwierigkeiten zu machen. Er will also ein perfektes, liebes Kind sein, und wenn das nicht gelingt, ist alles schlecht.
Negative Gefühle kann er absolut nicht verstoffwechseln - wenn er sie hat, überrollen sie ihn total und er kann gar nicht damit umgehen.
Wenn der Ausbruch vorbei ist, weiß er nichtmal mehr, was er gesagt und gedacht hat, nur, dass er sich schlecht gefühlt hat. (!)
Das ist dann einfach weg. Die Therapeutin sagte, das sei alles Verdrängung, und organisch fehle ihm nichts.
Dagegen spricht, dass ihre Bemühungen bei ihm auch erst auf Aufnahmefähigkeit traf, als er MediKinet bekommen hat - er hat vorher oft gar nicht verstanden, was sie von ihm wollte (sagte er zumindest).
Dagegen sprichtfür mich auch, dass sein Vater - also der GG - es, so lange ich ihn kenne, in ganz extremen Gefühlslagen ebenso macht.
Dass er Zurückweisungen und Kritik extrem schlecht ausbalancieren kann, hat die Dame übrigens mit seinem schlechten oder fehlenden innern Selbstwertgefühl (also, so grob) erklärt. Er hat das Bewusstsein, dass er toll ist und geliebt wird, aus verschiedenen Gründen nicht, und darum sofort das Gefühl, alles bricht auseinander. Kritik an seinem Verhalten kann er nicht von Kritik an sich selbst trennen. IN dem Moment, wo ich sagen: "Was du da machtst, ist nicht gut" kommt bie ihm nur an: "Ich finde dich nicht gut."
Im Moment macht das große Ü eine Verhaltenstherapie, um vielleicht zu lernen, aus seinen Gedankenschleifen wieder rauszukommen, und auch mal positive Dinge an sich zu sehen.
Und diese Therapeutin war von dieser Eigenart erstmal einigermaßen perplex, nachdem sie das einmal ungefiltert mitbekommen hat.
Die (und auch die Psychologin im SPZ, wo die Diagnose gestellt wurde), sagte das nun so: Es sei auch eine Eigenart von ADHS, dass Gefühle so heftig ausfallen könnten (wegen der fehlenden dämpfenden Transmitter im Gehirn). MediKinet gleicht das zB etwas aus. Zugleich meint das Ü aber auch, es könne sich mit Tabletten weniger freuen als ohne. Je nach Grundstimmung möchte es sie (außerhaöb der Schulzeit) manchmal nicht nehmen, oder, wenn es ihm sehr schlecht geht und er eher eine depressive Phase hat, gerade doch, weil es merkt, dass es damit nicht so schlimm ist.
Zugleich wäre aber diese absolute Unfähigkeit, Gefühle irgendwie differenziert wahrzunehmen und dann damit umzugehen, auch etwas, das man zB bei Asperger-Patienten oft findet. (Das ist nicht so weit hergeholt, weil es in meiner Verwandtschaft auch Asperger-Patienten gibt). Der erste Test dazu deutete nur etwas in diese Richtung, vieles andere sprach aber dagegen.
Sie hielt es aber durchaus für möglich, dass er so clever ist, dass er über analytisches Beobachten vieles kompensiert, was ihm gegenüber anderen fehlt. Dafür spricht, dass er - wie einige meiner männlichen Verwandten und eben auch die AspergerLeute - Gesichter kaum wiedererkennt. Er hatte zB einen Mitschüler, mit dem er sogar etwas befreundet war - den hat er außerhalb der Klasse immer nur an seinen Kumpels wiedererkannt, weil er so normal aussah und keine besonderen Merkmale hatte... (Nein, das ist kein Scherz. Mein Vater und einer meiner Brüder sind Gesichtsblind, ich kenne das Problem also).
In dem Fall wäre er von seinen Gefühlen einfach überforert, weil ihm der Draht dazu fehlt.
Also, kurz überlegt, zusammengefasst: Die Heftigkeit der Ausbrüche hängt auch mit dem ADHS zusammen, das fehlende innere Selbstbild mit vielen Krankheiten einerseits und einer extrem stressbelasteten Familienkonstellation andererseits... das verstärkt sich da negativ...
Und die Unfähigkeit, negative Gefühle einzusortieren, damit, dass er die halt nicht auseinandersortiert bekommt. Was aber auch wieder an ADHS liegen könnte.
Ich mache das jetzt manchmal schon so, dass ich einfach mal anspreche, was ich denke, was ihn eigentlich bedrückt, wenn er mal wieder so herumwütet oder die Welt schlecht ist. Ganz oft sind es eigentlich ganz konkrete Anlässe. Angst vor dem Abschied bei den Großeltern, Angst vor dem ersten Basketball-Auswärtsspiel, Angst vor Überforderung - die dann genauso übergroß werden wie die Enttäuschung bei Kritik.
Ich mache das noch nicht so lange, weil mir gar nicht klar war, dass er nicht nicht über die Gefühle reden möchte, sondern es nicht kann. Heute hat es ganz gut funktioniert, ich muss mal abwarten, wie es sich entwickelt.
NUn aber dazu:
Ich würde mit der Kinderärztin sprechen und deutlich machen, wie sehr das Kind leidet, auch wenn es gut in der Schule mitkommt
Genau so würde ich das auch sagen. Sag ihr, dass das Kind gut mitkommt, aber unter der Situation und unter der Schule leidet, und dass kognitive Fähigkeiten nicht alles sind.
Weigert sie sich, würde ich eine andere KÄ suchen oder schauen, ob es an einem Krankenhaus eine Ambulanz für Kinder gibt, die Verhaltensauffälligkeiten diagnostisch einordnen kann.
Mit letzterer habe ich gute Erfahrungen gemacht, aber die arbeiten nur auf Überweisung vom niedergelassenen Kinderarzt.
Ich würde glaube ich eine Kinderklinik bzw. ein sozialpädiatrisches Zentrum einem einzelnen niedergelassenen Fachmann vorziehen. Bei einem einzelnen Arzt besteht immer die Gefahr, dass er rein durch seine eigene Brille schaut und nur aus seiner Fachrichtung urteilt.
Im Spz arbeitet ein Team interdisziplinarisch zusammen.
Der Große wurde damals kinderärztlich, neurologisch, von einer Ergotherapeutin und von einer Kinderpsychologin untersucht. Dann wurden noch weitere spezielle Arrangements getroffen, weil man sich sicher war, dass er was hatte, aber in ruhigen Einzelsituationen nicht so richtig an das Problem herankam.
Sowas kann kein niedergelassener Psychologe oder Psychiater leisten.
Wenn ich mir meine Neffen anschaue (mein Schwager hat hochgradiges ADHS und alle seine Kinder haben es - zum Glück etwas milder - auch), dann wurden da ein paar Fragebögen ausgefüllt, irgendwie war ja auch eh schon klar, dass sie es wohl hatten, und damit war die Sache durch. Dass Neffe No. 2 zB auch noch ein neurologisches Problem hatte (unabhängig vom ADHS, vermutlich durch eine schwere Erkrankung in der ersten Lebenswoche), fiel dabei Jahrelang komplett unter den Tisch.
Der Arzt ist halt Psychiater, und dass Bettnässen manchmal eine ganz banale physiologische Ursache hat, hatte er nicht auf dem Schirm...
Das wäre - zumindest in "unserem" - in einem guten SPZ nicht passiert. Da wird einfach auf das ganze Kind geschaut.
(Allerdings sind die natürlich auch nicht alle gleich gut oder gut organisiert.)
Also, lange Rede, kurzer Sinn:
Ich würde ein SPZ ansteuern.
Und für den Moment bei solchen ZUsammenbrüchen versuchen, ihr zu sagen, dass du sie natürlich doch liebhast, und dass es auch Aufgabe der Eltern ist, den Kindern mal zu sagen, wenn sie etwas nicht richtig machen.
Aber nicht zu lange, sonst steigert sie sich nur noch mehr hinein. (Zumindest, wenn sie so ist wie mein Sohn.)
Manchmal hilft dann, einfach das Thema zu wechseln oder etwas Schönes anzufangen oder vorzuschlagen - um ihr zu zeigen, dass du sie noch gern hast. (Das geht bei uns nicht mehr so gut, seit das Kind größer ist. Aber gerade am Anfang konnte man das Ganze damit auffangen.)
Ganz liebe Grüße und viel Kraft und gute Nerven wünsche ich dir!