Kernkraftlobby solidarisiert sich mit Kampfhunde-Besitzern
In der Atomwirtschaft, Ausgabe 12/2000, einer Zeitschrift für Kernenergie
erschien folgender Artikel von Rechtsanwalt Dr. Thomas Roser, Paul-Kemp-
Str. 22, 53173 Bonn:
Der Kommentar
Der Nächste bitte!
Zwei Wellen der öffentlichen Ablehnung sind in den vergangenen Wochen und
Monaten über Deutschland hinweggegangen. Die erste galt den Kernkraftwerken,
die zweite den Kampfhunden. Die Kampagnen, die bekanntlich beide mit
langfristigen und vorbeugenden Verboten endeten, weisen so zahlreiche
Gemeinsamkeiten auf, dass es lohnend erscheint, diese herauszuarbeiten,
um darauf aufbauend der spannenden Frage nachzugehen, ob sich aus ihnen
allgemeine schlüsse ziehen lassen.
Auf den ersten Blick scheinen Kampfhunde und Kernkraftwerke wenig gemeinsam
zu haben. Doch schon ein zweiter Blick belehrt uns eines Besseren. Nicht
nur der identische Anfangsbuchstabe verbindet die beiden Gegenstände,
sondern auch der Umstand, dass sie kleine Minderheiten sind. Von den mehr
als 50 Millionen Maschinen, die in Deutschland latente in kinetische
Energie umwandeln, sind gerade einmal 20 Kernkraftwerke, die restlichen
Millionen sind in Kraftfahrzeuge eingebaut und dienen der Fortbewegung.
Und unter den 12.500 Hunden, die in einer Großstadt wie Frankfurt amtlich
registriert sind, befinden sich ganze 300, die als Kampfhunde firmieren.
Hinzu kommt, dass beide keine Naturerscheinungen sind, sondern Zivilisations-
produkte, d.h. relativ junge Errungenschaften des menschlichen
Einfallreichtums. Kernkraftwerke sind ingenieurtechnische Meisterwerke,
die es seit rund einem halben Jahrhundert gibt, und auch Kampfhunde sind
nicht die natürliche Frucht einer langen Evolution, sondern das Ergebnis
zielgerichteter Zuchtanstrengungen innerhalb weniger Jahrzehnte. Das Ziel
der Entwicklung war und ist bei Kernkraftwerken und Kampfhunden identisch:
In beiden Fällen wird durch menschliche Intelligenz eine latent vorhandene
Energie für einen wirtschaftlich einsetzbaren Nutzen optimiert.
Vieles spricht für die Annahme, dass diese Ausrichtung auf maximale Energie-
ausbeute es ist, die dazu geführt hat, dass Kampfhunde und Kernkraftwerke
heute in Deutschland Objekte öffentlicher und politischer Auseinander-
setzungen sind, die sich in auffälliger Weise gleichen. Geführt werden
sie mit dem erklärten Ziel, die inkriminierten Gegenstände von der Erd-
oberfläche verschwinden zu lassen. Ausrotten und Abschaffen heißen die
Stichworte hierfür bei den Kampfhunden, Aussteigen und Abschalten bei
den Kernkraftwerken, alles Begriffe, die unmittelbar dem Wörterbuch des
Unmenschen zu entspringen scheinen. Und keiner der Appelle zu solch
drastischem Vorgehen vergisst darauf hinzuweisen, wie bedauerlich es
sei, dass dies nur in Deutschland sich verwirklichen lasse und das Ausland
weiterhin aus durchsichtigen, egoistischen Gründen in Uneinsichtigkeit
und Starrsinn verharre.
Unstreitig beinhalten sowohl Kampfhunde als auch Kernkraftwerke ein Gefähr-
dungspotential, von dem eine nicht näher quantifizierbare, dochh allgemein
als groß angesehene Zahl von Menschen sich bedroht und in Angst und Schrecken
versetzt fühlt. Dabei spielt es offensichtlich keine Rolle, wie real diese
Bedrohung ist. Die Zahl der tatsächlichen Opfer von Kampfhunden und Kern-
kraftwerken liegt, selbst unter Einbeziehung des Unfalls von Tschernobyl,
um mehrere Größenordnungen unter den Hekatomben, die der Straßenverkehr
oder die Raucherlunge fordern. Die Vermutung liegt daher nahe, dass das
Gefühl der Bedrohung desto größer ist, je unbekannter seine Quelle ist.
Angesichts ihrer geringen tatsächlichen Population dürften Kampfhunde wie
Kernkraftwerke der großen Mehrzahl der Bürger nur aus der virtuellen
Realität der Medien bekannt sein.
Seit diesem Sommer sind die Ausrottung der Kampfhunde und die Abschaltung
der Kernkraftwerke nicht mehr nur Wünsche und Hoffnungen. Vielmehr haben
sich politische Mehrheiten gebildet, die konkrete Schritte zur Verwirklichung
dieser Ziele eingeleitet haben. Es ist nicht auszuschließen, dass schon die
nächste Generation von Deutschen diese Zivilisationsprodukte nur noch von
Auslandsreisen oder Museumsbesuchen kennt. Um dies zu erreichen, war freilich
mehr erforderlich als ein vages Gefühl der Bedrohung derer, die Angst und
Schrecken verspüren. Diesen virtuellen Opfern ist vor allem deshalb die
Durchsetzung ihrers Anliegens gelungen, weil die politische Mehrheit aus
den öffentlichen Bekundungen der Ablehnung den Schluß gezogen hat, deren
Gegenstand sei gesellschaftlich nicht akzeptiert und gefährde den sozialen
Frieden.
So hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 10. November 1998
den geplanten Ausstieg aus der Kernenergie allein damit gerechtfertigt, dass
die Nutzung der Kernenergie gesellschaftlich nicht akzeptiert sei. Sie ist,
so lautete damals seine Schlußfolgerung, mithin auch volkswirtschaftlich
nicht vernünftig. Dies sei der Grund, weshalb die Regierungskoalition sie
geregelt auslaufen lassen werde. Auch die Ausrottung der Kampfhunde wird
öffentlich in ganz ähnlichen Worten begründet. In ihrem Leitartikel vom
28. Juni 2000 bezeichnet die sonst so zurückhaltende Frankfurter Allgemeine
Zeitung es als ein Gebot der öffentlichen Sicherheit und des sozialen
Friedens, den dem Kampfhund-Typ entsprechenden Teil der Hundepopulation
so schnell wie möglich auszurotten. Das wäre nach Auffassung des Leitartiklers
die Beseitigung eines gefährlichen, eines bedrohlichen Zivilisationsproduktes.
Offenbar absichtsvoll im Unklaren bleibt bei all diesen Verurteilungen,
welchen Stellenwert die mangelnde soziale Akzeptanz hat. Handelt es sich bei
ihr schlicht um eine Folge der subjektiv empfundenen, kollektiven Bedrohung
oder steht sie als selbständige Voraussetzung staatlichen Eingreifens neben
ihr. Einiges spricht für die Annahme, dass zumindest im politischen Diskurs
die beiden Voraussetzungen als eng miteinander verknüpft verstanden werden.
In der Tat stellt sich anderenfalls die schwierig zu beantwortende Frage nach
Möglichkeiten und Grenzen des Nachweises sozialer Akzeptanz. schließlich
zeigen Umfrageergebnisse zu Kernkraftwerken, dass nur eine Minderheit den
Ausstieg fordert und auch bei Kampfhunden lässt sich mit guten Gründen
vermuten, dass die breite Mehrheit der Bevölkerung diese Spezies nur aus
der Berichterstattung und Kommentierung in den Medien und nicht aus eigener
Anschauung und Beurteilung kennt. Die hieraus erwachsenden Schlüssigkeits-
probleme lassen sich elegant umschiffen, wenn Bedrohung und mangelnde
Akzeptanz sich bedingen. Für die unwiderlegliche Vermutung einer staatliches
Eingreifen rechtfertigenden Störung des gesellschaftlichen Friedens dürfte
es in der politischen Praxis folglich wohl begnügen, dass eine Minderheit
ihre Forderung mit hinreichender Artikulationsfähigkeit und Insistenz
vertritt. An der Fähigkeit hierzu hat es bisher weder den Gegnern der
Kernkraftwerke noch denen der Kampfhunde gefehlt und der Erfolg gibt ihnen
Recht: Kernkraftwerke und Kampfhunde sind heute in Deutschland Auslauf-
modelle, deren Neubau bzw. Nachzucht sich in Zukunft nur noch außerhalb der
Grenzen unserer grünen Idylle abspielt.
Wenn dies Analyse der Voraussetzungen und der Folgen öffentlicher Ablehnung
zutrifft, dann tun sich freilich für besorgte Bürger ungeahnte Aktionsfelder
auf, denn isolierte Kleingruppen mit Gefährdungspotential gibt es mehr als
genug. allein wenn man im Alphabet bei dem Buchstaben K bleibt, lässt sich
sofort an Kaiser und Könige denken, deren Abschaffung in Deutschland
allerdings schon über 80 Jahre zurückliegt. Aber auch beispielsweise der
Kunstflug und die Krawatte geraten ins Visier als risikobehaftete Aktivitäten
von Minoritäten, deren statistisch belegbares Gefährdungspotential deutlich
von Null verschieden ist: Gerade in diesen Tagen haben die Interessenvertreter
der Polizeibeamten erneut warnend darauf hingewiesen, welche Gefahr für sie
das Tragen einer Krawatte im Dienst darstellt. Wie viele Menschen sind nicht
schon mit Hilfe solchen Halsschmucks erdrosselt worden!
In der Vergangenheit haben Staat und Gesellschaft sich damit benügt, die
seltenen Manifestationen derartiger Gefährdungspotentiale nachträglich mit
den Mitteln des Straf- und Haftungsrechts zu ahnden. Wer oder was schützt
in Zukunft die Angehörigen von Gruppen mit Gefährdungspotential davor, einer
ähnlichen Kampagne, wie sie sich vor unseren Augen gegen die Halter von
Kampfhunden und die Betreiber von Kernkraftwerken abgespielt hat, zum Opfer
fallen mit der Begründung, sie bildeten eine gesellschaftliche Gefahr? Wer
oder was verhindert, dass Krawatten und ihre Träger nach dem Vorbild der
Kampfhunde und der Kernkraftwerke zu Abschaffung und Ausrottung verurteilt
werden, wenn morgen nicht allein die Polizisten, sondern etwa auch die
Feministen ihr Gefühl des Bedrohtseins von diesem Symbol einstiger männlicher
Überlegenheit hinreichend laut und sichtbar artikulieren?
Zu dieser Warnung vor möglichen weiterungen der jetzt eingeleiteten Ent-
wicklung zwingt nicht das Mitleid mit den armen Hunden und auch nicht die
Furcht vor dem Ausgehen der Lichter, sondern allein die Besorgnis, dass im
perfektionierten Wohlfahrtsstaat sozialverträgliches und angepasstes
Verhalten zu dem maßgeblichen Kriterium wird, das über das Recht auf
Überleben in dieser Gesellschaft entscheidet. Hier gilt es den Anfängen
zu wehren.
Abgeschrieben aus der ATW 12/2000 von einem Behördenbedienstetem, der für
die Aufsicht von Kernkraftwerken zuständig ist.
Gruß Heidi /Mustang
PS: der Behoerdenbedienstete ist mein Mann *lol*
[Dieser Beitrag wurde von Heidi am 09. Januar 2001 editiert.]
In der Atomwirtschaft, Ausgabe 12/2000, einer Zeitschrift für Kernenergie
erschien folgender Artikel von Rechtsanwalt Dr. Thomas Roser, Paul-Kemp-
Str. 22, 53173 Bonn:
Der Kommentar
Der Nächste bitte!
Zwei Wellen der öffentlichen Ablehnung sind in den vergangenen Wochen und
Monaten über Deutschland hinweggegangen. Die erste galt den Kernkraftwerken,
die zweite den Kampfhunden. Die Kampagnen, die bekanntlich beide mit
langfristigen und vorbeugenden Verboten endeten, weisen so zahlreiche
Gemeinsamkeiten auf, dass es lohnend erscheint, diese herauszuarbeiten,
um darauf aufbauend der spannenden Frage nachzugehen, ob sich aus ihnen
allgemeine schlüsse ziehen lassen.
Auf den ersten Blick scheinen Kampfhunde und Kernkraftwerke wenig gemeinsam
zu haben. Doch schon ein zweiter Blick belehrt uns eines Besseren. Nicht
nur der identische Anfangsbuchstabe verbindet die beiden Gegenstände,
sondern auch der Umstand, dass sie kleine Minderheiten sind. Von den mehr
als 50 Millionen Maschinen, die in Deutschland latente in kinetische
Energie umwandeln, sind gerade einmal 20 Kernkraftwerke, die restlichen
Millionen sind in Kraftfahrzeuge eingebaut und dienen der Fortbewegung.
Und unter den 12.500 Hunden, die in einer Großstadt wie Frankfurt amtlich
registriert sind, befinden sich ganze 300, die als Kampfhunde firmieren.
Hinzu kommt, dass beide keine Naturerscheinungen sind, sondern Zivilisations-
produkte, d.h. relativ junge Errungenschaften des menschlichen
Einfallreichtums. Kernkraftwerke sind ingenieurtechnische Meisterwerke,
die es seit rund einem halben Jahrhundert gibt, und auch Kampfhunde sind
nicht die natürliche Frucht einer langen Evolution, sondern das Ergebnis
zielgerichteter Zuchtanstrengungen innerhalb weniger Jahrzehnte. Das Ziel
der Entwicklung war und ist bei Kernkraftwerken und Kampfhunden identisch:
In beiden Fällen wird durch menschliche Intelligenz eine latent vorhandene
Energie für einen wirtschaftlich einsetzbaren Nutzen optimiert.
Vieles spricht für die Annahme, dass diese Ausrichtung auf maximale Energie-
ausbeute es ist, die dazu geführt hat, dass Kampfhunde und Kernkraftwerke
heute in Deutschland Objekte öffentlicher und politischer Auseinander-
setzungen sind, die sich in auffälliger Weise gleichen. Geführt werden
sie mit dem erklärten Ziel, die inkriminierten Gegenstände von der Erd-
oberfläche verschwinden zu lassen. Ausrotten und Abschaffen heißen die
Stichworte hierfür bei den Kampfhunden, Aussteigen und Abschalten bei
den Kernkraftwerken, alles Begriffe, die unmittelbar dem Wörterbuch des
Unmenschen zu entspringen scheinen. Und keiner der Appelle zu solch
drastischem Vorgehen vergisst darauf hinzuweisen, wie bedauerlich es
sei, dass dies nur in Deutschland sich verwirklichen lasse und das Ausland
weiterhin aus durchsichtigen, egoistischen Gründen in Uneinsichtigkeit
und Starrsinn verharre.
Unstreitig beinhalten sowohl Kampfhunde als auch Kernkraftwerke ein Gefähr-
dungspotential, von dem eine nicht näher quantifizierbare, dochh allgemein
als groß angesehene Zahl von Menschen sich bedroht und in Angst und Schrecken
versetzt fühlt. Dabei spielt es offensichtlich keine Rolle, wie real diese
Bedrohung ist. Die Zahl der tatsächlichen Opfer von Kampfhunden und Kern-
kraftwerken liegt, selbst unter Einbeziehung des Unfalls von Tschernobyl,
um mehrere Größenordnungen unter den Hekatomben, die der Straßenverkehr
oder die Raucherlunge fordern. Die Vermutung liegt daher nahe, dass das
Gefühl der Bedrohung desto größer ist, je unbekannter seine Quelle ist.
Angesichts ihrer geringen tatsächlichen Population dürften Kampfhunde wie
Kernkraftwerke der großen Mehrzahl der Bürger nur aus der virtuellen
Realität der Medien bekannt sein.
Seit diesem Sommer sind die Ausrottung der Kampfhunde und die Abschaltung
der Kernkraftwerke nicht mehr nur Wünsche und Hoffnungen. Vielmehr haben
sich politische Mehrheiten gebildet, die konkrete Schritte zur Verwirklichung
dieser Ziele eingeleitet haben. Es ist nicht auszuschließen, dass schon die
nächste Generation von Deutschen diese Zivilisationsprodukte nur noch von
Auslandsreisen oder Museumsbesuchen kennt. Um dies zu erreichen, war freilich
mehr erforderlich als ein vages Gefühl der Bedrohung derer, die Angst und
Schrecken verspüren. Diesen virtuellen Opfern ist vor allem deshalb die
Durchsetzung ihrers Anliegens gelungen, weil die politische Mehrheit aus
den öffentlichen Bekundungen der Ablehnung den Schluß gezogen hat, deren
Gegenstand sei gesellschaftlich nicht akzeptiert und gefährde den sozialen
Frieden.
So hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 10. November 1998
den geplanten Ausstieg aus der Kernenergie allein damit gerechtfertigt, dass
die Nutzung der Kernenergie gesellschaftlich nicht akzeptiert sei. Sie ist,
so lautete damals seine Schlußfolgerung, mithin auch volkswirtschaftlich
nicht vernünftig. Dies sei der Grund, weshalb die Regierungskoalition sie
geregelt auslaufen lassen werde. Auch die Ausrottung der Kampfhunde wird
öffentlich in ganz ähnlichen Worten begründet. In ihrem Leitartikel vom
28. Juni 2000 bezeichnet die sonst so zurückhaltende Frankfurter Allgemeine
Zeitung es als ein Gebot der öffentlichen Sicherheit und des sozialen
Friedens, den dem Kampfhund-Typ entsprechenden Teil der Hundepopulation
so schnell wie möglich auszurotten. Das wäre nach Auffassung des Leitartiklers
die Beseitigung eines gefährlichen, eines bedrohlichen Zivilisationsproduktes.
Offenbar absichtsvoll im Unklaren bleibt bei all diesen Verurteilungen,
welchen Stellenwert die mangelnde soziale Akzeptanz hat. Handelt es sich bei
ihr schlicht um eine Folge der subjektiv empfundenen, kollektiven Bedrohung
oder steht sie als selbständige Voraussetzung staatlichen Eingreifens neben
ihr. Einiges spricht für die Annahme, dass zumindest im politischen Diskurs
die beiden Voraussetzungen als eng miteinander verknüpft verstanden werden.
In der Tat stellt sich anderenfalls die schwierig zu beantwortende Frage nach
Möglichkeiten und Grenzen des Nachweises sozialer Akzeptanz. schließlich
zeigen Umfrageergebnisse zu Kernkraftwerken, dass nur eine Minderheit den
Ausstieg fordert und auch bei Kampfhunden lässt sich mit guten Gründen
vermuten, dass die breite Mehrheit der Bevölkerung diese Spezies nur aus
der Berichterstattung und Kommentierung in den Medien und nicht aus eigener
Anschauung und Beurteilung kennt. Die hieraus erwachsenden Schlüssigkeits-
probleme lassen sich elegant umschiffen, wenn Bedrohung und mangelnde
Akzeptanz sich bedingen. Für die unwiderlegliche Vermutung einer staatliches
Eingreifen rechtfertigenden Störung des gesellschaftlichen Friedens dürfte
es in der politischen Praxis folglich wohl begnügen, dass eine Minderheit
ihre Forderung mit hinreichender Artikulationsfähigkeit und Insistenz
vertritt. An der Fähigkeit hierzu hat es bisher weder den Gegnern der
Kernkraftwerke noch denen der Kampfhunde gefehlt und der Erfolg gibt ihnen
Recht: Kernkraftwerke und Kampfhunde sind heute in Deutschland Auslauf-
modelle, deren Neubau bzw. Nachzucht sich in Zukunft nur noch außerhalb der
Grenzen unserer grünen Idylle abspielt.
Wenn dies Analyse der Voraussetzungen und der Folgen öffentlicher Ablehnung
zutrifft, dann tun sich freilich für besorgte Bürger ungeahnte Aktionsfelder
auf, denn isolierte Kleingruppen mit Gefährdungspotential gibt es mehr als
genug. allein wenn man im Alphabet bei dem Buchstaben K bleibt, lässt sich
sofort an Kaiser und Könige denken, deren Abschaffung in Deutschland
allerdings schon über 80 Jahre zurückliegt. Aber auch beispielsweise der
Kunstflug und die Krawatte geraten ins Visier als risikobehaftete Aktivitäten
von Minoritäten, deren statistisch belegbares Gefährdungspotential deutlich
von Null verschieden ist: Gerade in diesen Tagen haben die Interessenvertreter
der Polizeibeamten erneut warnend darauf hingewiesen, welche Gefahr für sie
das Tragen einer Krawatte im Dienst darstellt. Wie viele Menschen sind nicht
schon mit Hilfe solchen Halsschmucks erdrosselt worden!
In der Vergangenheit haben Staat und Gesellschaft sich damit benügt, die
seltenen Manifestationen derartiger Gefährdungspotentiale nachträglich mit
den Mitteln des Straf- und Haftungsrechts zu ahnden. Wer oder was schützt
in Zukunft die Angehörigen von Gruppen mit Gefährdungspotential davor, einer
ähnlichen Kampagne, wie sie sich vor unseren Augen gegen die Halter von
Kampfhunden und die Betreiber von Kernkraftwerken abgespielt hat, zum Opfer
fallen mit der Begründung, sie bildeten eine gesellschaftliche Gefahr? Wer
oder was verhindert, dass Krawatten und ihre Träger nach dem Vorbild der
Kampfhunde und der Kernkraftwerke zu Abschaffung und Ausrottung verurteilt
werden, wenn morgen nicht allein die Polizisten, sondern etwa auch die
Feministen ihr Gefühl des Bedrohtseins von diesem Symbol einstiger männlicher
Überlegenheit hinreichend laut und sichtbar artikulieren?
Zu dieser Warnung vor möglichen weiterungen der jetzt eingeleiteten Ent-
wicklung zwingt nicht das Mitleid mit den armen Hunden und auch nicht die
Furcht vor dem Ausgehen der Lichter, sondern allein die Besorgnis, dass im
perfektionierten Wohlfahrtsstaat sozialverträgliches und angepasstes
Verhalten zu dem maßgeblichen Kriterium wird, das über das Recht auf
Überleben in dieser Gesellschaft entscheidet. Hier gilt es den Anfängen
zu wehren.
Abgeschrieben aus der ATW 12/2000 von einem Behördenbedienstetem, der für
die Aufsicht von Kernkraftwerken zuständig ist.
Gruß Heidi /Mustang
PS: der Behoerdenbedienstete ist mein Mann *lol*
[Dieser Beitrag wurde von Heidi am 09. Januar 2001 editiert.]