Hunde und Menschen - Die Karriere eines Einschmeichlers

Wolfgang

KSG-Haarspalter™
Spiegel Online

HUNDE UND MENSCHEN
Die Karriere eines Einschmeichlers

Nicht der Mensch hat den bösen Wolf "gezähmt" - das Raubtier hat die Wildnis freiwillig verlassen. Auf dem Weg zum perfekten Partner musste es nur noch lernen, sich als Hund unentbehrlich zu machen.

Spione sind sie, die aus der Kälte kamen. An unsere Lagerfeuer haben sie sich geschlichen, in unsere Pfahlbauten, in unsere Herzen. Sie belauschten unsere Sprache, unsere Sitten und Gebräuche. Schlau passten sie sich unseren Vorlieben und Abneigungen an, formten sich nach unserem Bilde. Jetzt droht ihre Tarnung aufzufliegen.
Vor einigen Jahren stellten die amerikanischen Biologen Raymond und Lorna Coppinger die These auf, nicht der Mensch habe den Hund domestiziert, sondern der Hund sich selbst. Dessen Vorfahren seien von ihrem Rudel verstoßene Wölfe gewesen, die sich um menschliche Siedlungen scharten und von Abfällen nährten - wie es verwilderte Hunde noch heute tun. Wer überleben wollte, musste freundlich sein, die Sitten der Zweibeiner beachten und immer die Augen offen halten.

"Der Wolf", fasst Professor Vilmos Csányi in seinem Budapester Büro zusammen, "musste soziales Verständnis entwickeln." So wurde der Wolf zum Hund.

Durch die Labore und Flure von Professor Csányis Ethologischem Institut an der Budapester Loránd-Eötvös-Universität, Gebäude 1/C, sechster Stock, tollen Welpen. Sie robben, rutschen und schnuppern übers Linoleum, wuffen und fiepen, rollen sich zusammen unter Spültischen und Computern. Vor 30 Jahren hat Csányi das Institut begründet, aber erst 1994 wandte er sich jener Spezies zu, die so vertraut schien und doch so fremd war: dem Haushund, Canis lupus familiaris.

Er konnte darauf aufbauen, dass der Hund seit Jahrtausenden jeder Regung des Menschen seine ganze Aufmerksamkeit widmet. Kein anderes Tier hat ein vergleichbares Geschick entwickelt, menschliche Signale zu deuten und das eigene Verhalten danach auszurichten. Von Geburt an, hat Professor Csányi denn auch in Experimenten festgestellt, seien Welpen in der Lage, aus der Körpersprache der Versuchsleiter Hinweise auf verstecktes Futter zu lesen, ihren Blicken und Gesten zu folgen - sogar dann, wenn der Helfer nur als Filmprojektion oder auf dem Videomonitor sichtbar war. Weder Wölfe noch Schimpansen, fanden die Forscher um den Psychologen Michael Tomasello am Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie heraus, haben im Deuten menschlicher Gesten die Meisterschaft der Hunde erreicht. Dass unsere besten Freunde in langer Gemeinschaft mit uns gründlich gelernt haben, uns zu verstehen, hat sich für sie gelohnt.

Während ihr Stammvater, der Wolf, ums Überleben kämpft - auf 130.000 Tiere wird der frei lebende Bestand geschätzt -, genießen Hunderte von Millionen Hunden seit der Fusion mit dem Unternehmen Mensch das sorglose Leben an der Seite des stärkeren Partners. Eine unglaubliche Rarität, diese Symbiose zwischen Nahrungskonkurrenten! Eine freundliche Übernahme, die dem Menschen Zuneigung einbringt und dem Hund Fürsorge, Obdach und Futter - allein in Deutschland für 800 Millionen Euro im Jahr. Ein Joint Venture; eine Kooperation, die Betriebswirtschaftler mit Begriffen wie "Synergie" beschreiben würden, "strategische Allianz" oder "Win-Win-Situation".

Wahrscheinlich begann die hündische Invasion der Menschenwelt vor 15.000 Jahren in Ostasien. Dort fand der schwedische Molekularbiologe Peter Savolainen bei seinen DNS-Sequenz-Analysen an 654 Hunden die größte Ausdifferenzierung im Erbmaterial. Der Zoologe Robert K. Wayne von der University of California in Los Angeles setzt den Beginn der Liaison von Wolf und Mensch mindestens 25.000 Jahre früher an. Jedenfalls war Zeit genug für eine "Ko-Evolution", die im Lauf der Zeit beiden Partnern in Fleisch und Blut überging.

Um die Bedingungslosigkeit der hündischen Liebe zu prüfen, genügte Csányis Leuten ein einfacher Versuch. Dreizehn Wolfs- und zwölf Hundewelpen wurden, bevor sie noch die Augen öffneten, ihren Müttern entzogen und in die Obhut von Doktorandinnen gegeben. Sie bemutterten die jungen Caniden monatelang, 24 Stunden am Tag, pressten ihnen mikrowellenwarme Nuckelflaschen an die stumpfen Schnauzen und nahmen sie nachts sogar mit ins Bett.

Nach ein paar Wochen wurden die Welpen auf eine Filzmatte gesetzt, an deren Enden sich eine Frau und ein stoischer Belgischer Schäferhund postiert hatten. Die kleinen Pelzknäuel, plötzlich auf dem Filz gelandet, fühlten sich unübersehbar elend, hinterließen bisweilen aus Angst einen feuchten Fleck. Doch schließlich suchten sie Zuflucht: die Wolfsjungen meist beim Schäferhund, die Hundebabys bei der Frau.

Weil die kleinen Hunde ebenso wie die Wölfe dieses Experiments in gleich innigem Kontakt zum Zweibeiner heranwuchsen, sich dann aber unterschiedlich verhielten, ist, so folgern die Gelehrten, das Subjekt ihrer Wahl, ihrer Liebe offenbar vererbt. Hunde, das hat auch Michael Tomasello in Leipzig beobachtet, interessieren sich füreinander weit weniger als für uns. Sie betreiben ununterbrochen Marktforschung, lassen die Zielgruppe nicht aus den Augen.

Selbst unbewusste Signale des Menschen schnappen sie instinktiv auf, wie Neurobiologen der University of Florida in Gainesville feststellten, als sie so genannte "seizure-alert dogs" erforschten. Diese Caniden erahnen einen Epilepsieanfall ihres Besitzers bereits Minuten im Voraus, bellen warnend oder zwicken den Kranken in die Hand, damit der sich rechtzeitig in Sicherheit bringen kann. Elf Prozent aller Hunde von Epileptikern, fanden die Forscher heraus, zeigen diese mysteriöse Begabung, die sich übrigens nicht andressieren lässt.

So hat der Hund, seit Jahrtausenden hinter den menschlichen Linien operierend, unsere Verhaltenscodes geknackt. Seine Beobachtungsbasis ist unsere Familie, sein Biotop ist unser Heim. Hier erschuf er sich nach menschlichem Bild und hat dabei, fast unvermeidlich, findet Vilmos Csányi, ein Sozialverhalten entwickelt, das sich jenem von Herrchen und Frauchen immer mehr angeglichen hat. "Ich wage zu behaupten", sagt der Forscher, "dass sich der Hund gegenwärtig in einem vormenschlichen Stadium befindet."

Während etwa Schimpansengruppen sich bis heute in Machtkämpfen verzetteln, habe der Hund schon die Fähigkeit zur Unterordnung, zum Triebaufschub und zur Arbeitsteilung erworben. Er könne sogar, sagt Csányi, Befehlsstrukturen variieren und den Grad seines Gehorsams der Aufgabe anpassen.

In menschlicher Gesellschaft habe der Hund, glaubt der Wissenschaftsessayist Stephen Budiansky, aus der wölfisch-hierarchischen Rudelwelt zu einer beinahe "demokratischen Ordnung" gefunden. Kein anderes Tier sei zudem fähig zur Empathie, zur Identifikation mit den Sorgen und Freuden anderer, sagt Vilmos Csányi - einem Zug, der in freier Wildbahn eher schädlich wäre: "Primaten konkurrieren um Futter, Lagerplätze, Weibchen. Gruppensolidarität kennen sie nur, wenn es um Blutsverwandte geht." Hunde und Menschen jedoch behalten, über jeden "Egoismus der Gene" hinweg, das Wohl ihrer Gruppe im Auge - einer Gruppe, die nicht aus der eigenen Familie bestehen muss, ja nicht einmal aus der eigenen Spezies.

"Der Hund", sagt Csányi, "ist eben kein gewöhnliches Tier mehr, sondern ein künstliches Wesen." Eines, das seine Beziehung zum Menschen nicht als die eines Rudelmitglieds zum Leittier betrachte, wie viele Forscher bislang vermuteten - sondern als die eines Kindes zu seinen Eltern. In Momenten der Furcht, der Einsamkeit und des Abschieds vom menschlichen Partner - Situationen, die Csányis Leute im Labor nachstellten - verhielten sich auch erwachsene Tiere wie verlassene Babys.

Das sichere Futter aus Menschenhand hat dem Hund erlaubt, Ernst und Effizienz des Jägers zu vernachlässigen. Das tägliche Tollen mit Menschen, glaubt der Biologe Marc Bekoff von der University of Colorado in Boulder, habe so im Lauf der Evolution das Repertoire des Hundes bereichert: Bei Versuchen in seinem Labor stellte er an Hundewelpen ein weit abwechslungsreicheres Spielverhalten fest als an jungen Wölfen. Und im Gegensatz zum Wolf behält der Hund den Spieltrieb auch im Alter bei, bleibt neugierig, lernfähig und ohne Angst vor anderen Arten. Die Spuren erwachsener Wölfe im Schnee sind gerade und zielgerichtet - Hunde aber tapsen im Zickzack durchs winterliche Gelände, schnörkeln und schlingern ohne Leistungsdruck durch die Welt.

Das könnte bedeuten: Im Spiel hat der Hund uns auch die Abstraktion abgeschaut. Nur Hunde und Menschen seien in der Lage, Regeln und Rituale zu verstehen und sich nach ihnen zu richten, sagt Vilmos Csányi. Bei einem Test, in dem es galt, hinter Paravents verborgene Bälle zu finden, durchstöberten die vierbeinigen Prüflinge gehorsam Versteck um Versteck. Und selbst als der Versuchsleiter schließlich den Ball vor ihren Augen in seine Tasche steckte, suchten sie noch einmal hinter den Sichtblenden: Sie glaubten, das verlange die Regel. Wirklich verblüfft aber waren die Forscher, als sie den Versuch mit Kindern und Studenten wiederholten. 80 Prozent der Kinder und die Hälfte der Studenten vertrauten nämlich ebenfalls dem Ritual mehr als dem Augenschein.

Die hündische Liebe zur Regel, hofft Csányi, könnte das Tier eventuell zum Dialog mit dem Menschen befähigen: "Der Hund setzt Handlungsmuster ein, um sich zu verständigen. 20 bis 30 solcher Rituale könnten ein primitives Kommunikationssystem bilden." Bereits jetzt, das ermittelte Csányis Team bei einer Umfrage unter Hundehaltern, verstehen Hunde durchschnittlich 30 Wörter der menschlichen Sprache.

Schon hat Canis lupus familiaris die Bande zu seinen tierischen Artgenossen gekappt. Während der Wolf noch mit rund 60 verschiedenen Gesichtsausdrücken kommuniziert, steht seinem zahmen Nachfahr nur noch ein Bruchteil des Caniden-Repertoires zur Verfügung: Die Versuche der Kieler Verhaltensforscherin Dorit Feddersen-Petersen, Rudel aus Pudeln oder Retrievern zu bilden, scheiterten, so die Wissenschaftlerin, hauptsächlich an deren mimischer Sprachlosigkeit. Aber auch ihre Vokalisation, das Bellen, stiftete eher Verwirrung. Zum Gedankenaustausch hält sich der Hund lieber an den Menschen.

Das Gekläff, glaubt Vilmos Csányi, sei nichts anderes als der Versuch, menschliche Worte zu imitieren. "Ihr soziales Verständnis ist so scharf und komplex", sagt er, "dass es ihnen leicht fallen müsste, eine einfache Sprache zu erwerben." Während der Wolf nur spärlich und eintönig belle, sei "die Vokalisation des Hundes so variabel, dass sie die Grundlage für ein sprachähnliches System werden könnte", vermutet Csányis Mitarbeiter Péter Pongrácz. Bereits 1936 berichtete der Tierpsychologe Johan Bierens de Haan von einem Hund, der so etwas wie "Hunger" gebellt haben soll.

Mittlerweile hat die kalifornische Wissenschaftlerin Sophia Yin Spektogramme von über 4600 hündischen Lautäußerungen analysiert, die sie mit 80-prozentiger Trefferquote bestimmten Situationen zuordnen konnte: das hohe, vereinzelte Bellen etwa, wenn Herrchen außer Sicht ist; das harsche, tiefe Bellen beim Ertönen der Türklingel. "Rund zweihundert Vokabeln sind nötig, um ein primitives linguistisches System zu entwickeln", sagt Csányi voller Zuversicht. "Affen und Papageien haben es bislang nur auf etwa 150 gebracht."

Und so könnte das bewährte Joint Venture zwischen Mensch und Hund eines Tages nicht mehr nur eine Frage des Verhaltens sein. Sondern eine Sache der Verhandlung.

Von Jörg-Uwe Albig / GEO Wissen

 
  • 28. März 2024
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