Hunde in der Öffentlichkeit: beschlagnahmt, eingeschläfert, hohe Geldstrafe

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la loca

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Hunde in der Öffentlichkeit: beschlagnahmt, eingeschläfert, hohe Geldstrafe


Teheran/Iran, 6.11.01

Teheran, im November–Ort der Handlung: Boulevard Jordan. Er schaut überhaupt nicht aus wie die römische Via Veneto, auch nicht wie der Pariser Boulevard Saint-Germain, sondern hat nur den Charme einer Stadt-Autobahn. Dennoch muss er notdürftig für die iranische Hauptstadt jene Funktion übernehmen, die einstmals die beiden genannten Straßen für junge Europäer hatten, die dabei sein wollten: Die iranische Jeunesse dorée geht hin, wenn sie gesehen werden möchte. Nicht zu Fuß. Sie fährt im Auto hin und her, beäugt sich, begrüßt sich, tastet ab, was derzeit „zu weit“ bedeutet bei dem permanenten Versuch, die Grenzen der islamischen Kleidervorschriften hinauszuschieben. Wenn aus einem Wagen laute Pop-Musik tönt, wenn die Insassen verschiedenen Geschlechts sind, jung und mutmaßlich unverheiratet, fischen Polizisten oder Sittenwächter in Zivil die Verdächtigen rasch aus dem zäh fließenden Autokorso. Auf der Stelle werden Strafverfahren eingeleitet. Es ist eine sehr gebremste Dolce Vita.

Personen der Handlung auf dem Boulevard, der offiziell längst zu Ehren „Afrikas“ umbenannt wurde, jedoch im Sprachgebrauch auch 22 Jahre nach der Revolution noch den Namen des haschemitischen Königreichs Jordanien trägt: der Hund Mischka, zwei Jahre alt, Pudelverschnitt, acht Kilo schwer, quirlig; Kambis, 20-jähriger Technik-Student, 1,82 Meter groß, 81 Kilo, sportlich; seine Freunde; seine Familie; die Staatsgewalt. Aber sie sind mit ihrem Auftritt noch nicht dran.

Mit Knüppel und Peitsche

Wenn die Islamische Republik im internationalen Fußball siegt so wie letzte Woche gegen die Vereinigten Arabischen Emirate, stehen auf dem Boulevard die Autos Stoßstange an Stoßstange, bis in die frühen Morgenstunden. Die Insassen hupen, blasen in Alphörner aus buntem Plastik, hängen grün-weiß- rote Fahnen oder sich selber aus dem Fenster und klatschen rhythmisch. Auf Inseln im Stau wird getanzt. Frauen, geschminkt und lächelnd unter dem Tschador, drehen Körper und Hände grazil im Takt. Für einzelne Breakdancer bilden sich andere Inseln. An einem halben Dutzend Plätzen der Stadt, wo es ähnlich hoch hergeht, knallen Raketen und Böller. Anderswo wäre so etwas eher blasse Routine nach großen Fußballtagen. Hier wird damit das Strafgesetz kapitelweise missachtet. Doch die Polizei greift nicht ein. Heute nicht.

Bei vorausgegangenen Spielen hatte es harte Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Ordnungskräften gegeben. Vor allem die Hilfsmiliz der Bassidsch, deren Mitglieder sowohl durch Indoktrinierung als auch materielle Vorteile ans Regime gebunden werden, gingen mit Knüppeln und Messern vor. Entsprechend reagierten die Sport-Enthusiasten und ihr Fußvolk, das immer marschbereit ist, wenn sich etwas tut. Ob nach Sieg oder Niederlage, mit einer Regelmäßigkeit, die fast schon zum Ritual geworden ist, schlägt Fußballbegeisterung um in politische Empörung. Randalierer reißen Verkehrsschilder aus. Sie schlagen die Scheiben staatlicher Banken und anderer Symbole der Obrigkeit ein. „Nieder mit der Despotie, es lebe die Freiheit“, rufen plötzlich Sprechchöre, oder „Schande über Chamenei! Gib die Macht aus der Hand!“ Die Schmähung des geistlichen Führers reimt sich im Persischen.

Etwa tausend junge Leute sind im Zusammenhang mit solchen Zwischenfällen in den vergangenen Wochen verhaftet worden. Noch am Tag des Qualifizierungsspiels gegen die Emirate werden 80 von ihnen zu Haft oder Auspeitschung verurteilt. Diesmal indessen gibt es kaum Zwischenfälle. Die Führung hat gelernt. Sie lässt die Bassidsch nicht von der Leine, denn sie will nicht unnötig Feinde und Märtyrer schaffen. „So hat das Ende des Schahs auch angefangen“, orakeln Iraner, die sich an die islamische Demonstrationswelle des Jahres 1978 erinnern. Doch die Parallele ist schlecht begründet. Überdruss am freudlosen Leben ist heute der Motor der Randale, vielfach enttäuschte Hoffnungen über ausgebliebene Reformen, Langweile, wirtschaftliche Misere, Arbeitslosigkeit und fehlende Zukunftsaussichten für die Jugend. Kein politisches Konzept wird in den Krawallen artikuliert. Keine Organisation steckt dahinter.

Kambis und seine drei Freunde brauchen kein Fußballspiel, um aufzufallen. Sie werden auf dem Boulevard Jordan an einem ganz normalen Abend angehalten. Für motorisiertes Flanieren, sonst nichts. Ihr Geländewagen enthält keine Stereoanlage. Mädchen sind auch nicht im Wagen. Der Tugendwächter will schon wieder gehen. Da entdeckt er: „Sie haben einen Hund dabei!“ Den Hund Mischka. Er gehört einem der Freunde. Ein Inspektor wird gerufen. Auf der Stelle beschlagnahmt er das Auto für einen Monat und setzt die Justizmaschine in Gang. Denn seit letztem Sommer ist es verboten, mit Hunden oder Affen, beides unreine Tiere, in der Öffentlichkeit zu promenieren. So wie es nicht mehr erlaubt ist, Damen-Unterwäsche in Schaufenstern zu zeigen oder Kunden durch Beschallung mit dekadenter Musik in ein Geschäft zu locken.

Schüsseln des Anstoßes

Der Kulturkampf wird auf sämtlichen Etagen geführt, auch auf dem Dach. Plötzlich sind aus dem Norden Teherans die Satelliten-Schüsseln verschwunden. Sie waren zwar seit Jahren verboten, wurden aber toleriert. Das Reform-Parlament bereitete gerade die förmliche Aufhebung des Verbots vor, da schuf die orthodox beherrschte Justiz abermals vollendete Tatsachen. Überfallartig erschienen Polizisten in Hunderten von Häusern und demontierten die anstößigen Teller. Aus Furcht vor Beschlagnahme und saftigen Geldstrafen schraubten die meisten noch nicht Betroffenen ihre Antennen selber ab. Einige vertrauen auf eine gute Tarnung, etwa den Kasten einer Klimaanlage. Die Mehrheit aber wartet darauf, dass der Sturm wieder abflaut–wie alle Kampagnen in Iran.

Ideologisch noch giftiger als westliche Sender sind für die Hüter der reinen Lehre zwei exil-iranische Stationen in Kalifornien, Pars und NITV. Wegen der penetranten Langweile, welche die sechs einheimischen Kanäle ausstrahlen, sprechen die Iraner selber von „Mullah- Fernsehen“. Die Emigranten dagegen unterhalten mit Musik und Filmen– und mit politischer Polemik. Regelmäßig rufen sie die Jugend dazu auf, nach Fußballspielen auf die Straße zu gehen. Vereinzelt ist dabei schon „Reza, Reza!“ gerufen worden, weil die Sender dem Thron-Prätendenten und Sohn des letzten Schahs, Reza Pahlewi, viel Zeit geben: Ein Grund mehr für das Missfallen des Regimes über die Pläne für eine eventuelle Rückkehr des Ex- Königs Zahir ins benachbarte Afghanistan.

„Hau Amerika mit aller Kraft auf den Kopf!“ Das Haupt Uncle Sam’s mit seinem Zylinder aus einem gerollten Sternenbanner ist für die Besucher der amerikanischen Botschaft eine Art „Hau den Lukas“. Wahlweise darf auch mit Tennisbällen in den Mund von Uncle Sam geschossen werden. Das verwaiste Botschaftsgebäude ist seit vorvergangenem Wochenende wieder geöffnet, aber nur für eine „Internationale Schau der amerikanischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Auf Plakaten war die Ausstellung zunächst mit dem Titel „Die Zerschmetterung des Glas-Palasts“ angekündigt worden. Noch rechtzeitig fiel jemandem auf, dass dies als klammheimliche Freude über die Zerstörung des World Trade Center hätte missverstanden werden können. Hiroschima, Korea, Vietnam, Afghanistan, so heißen einige der Stationen der Schau. Und natürlich Iran, wo den Amerikanern 68 verschiedene Verbrechen vorgerechnet werden.

Am 4. November 1979 hatten radikale Studenten die Botschaft besetzt, 52 Diplomaten als Geiseln genommen und sie 444 Tage festgehalten. Die Studenten von damals sind bei der Eröffnung der Ausstellung nicht dabei. Sie wurden nicht eingeladen und wären nicht gekommen. Denn ihre Wortführer stehen heute fast alle im Lager des Reform-Präsidenten Mohammed Chatami. Einige gehören seinem engsten Kreis an. So hat Said Hadscharian, der letztes Jahr nach einem Anschlag nur knapp dem Tod entging, Chatamis Wahlstrategie entworfen. Massumeh Ebtekar, während der 444 Tage unter ausländischen Journalisten als Studenten-Sprecherin „Mary“ bekannt, ist Vizepräsidentin. Abbas Abdi ist Berater des Staatschefs. Abdi bereut nicht wirklich, und allen fehlt bis heute die Einsicht für die Enormität ihres Handstreichs, der das Verhältnis zu den USA dauerhaft ruinierte und die Isolierung der Islamischen Republik einleitete. Unter den Bedingungen von 1979 lasse sich die Besetzung der Botschaft rechtfertigen, sagt Abdi der New York Times. Jetzt würde er es nicht wieder tun.

Einen Monat nach dem Beginn der Angriffe auf Afghanistan besteht kaum mehr Aussicht, dass die Reformer aus der veränderten Weltlage Profit ziehen könnten. Hinter den Kulissen wurde heftig darum gerungen, ob man einen neuen Anfang in den Beziehungen zu Washington versuchen soll. Die Frage ist negativ entschieden. „Diejenigen, die von Beziehungen sprechen, sind nicht bösen Willens. Sie sind nur schlecht informiert“, sagt der geistliche Führer Ali Chamenei über seine Gegner, beinahe mitleidig. Er hat gerade in Isfahan ein Bad in der Menge genommen. Hunderttausende haben ihm zugejubelt, als wäre er der Messias oder der entrückte zwölfte Imam der Schiiten, dessen Wiederkehr ein Zeitalter der Gerechtigkeit einläutet. „Herangekarrt und bezahlt“ nennen Kritiker die Jubelmenge. Aber sie war unübersehbar.

Der geistliche Führer lässt keinen Zweifel daran, dass Außenpolitik Chefsache ist, nicht Regierungssache–wie schon in der Ära des Schahs. Meinungsverschiedenheiten seien zulässig, wo es um Verwaltungsprobleme oder Gesetzesänderungen gehe. „Aber in allen kritischen Angelegenheiten, in allen Staatsaffären hat laut klaren Verfassungsbestimmungen der Führer das letzte Wort.“ Also spricht Chamenei. Die USA wollten Iran in den Afghanistan-Konflikt verwickeln und zum Partner bei Massakern an unschuldigen Menschen machen. Amerika wolle der Welt auch zeigen, dass die Islamische Republik von ihren revolutionären Idealen abgerückt sei. Daraus wird nichts. Durch Verhandlungen–so erklärt Chamenei–„würden die Amerikaner nur gieriger“.

„Zehn hänge ich auf“

Sein Justizchef, Ayatollah Mahmud Schahrudi, ginge gern noch weiter. Er möchte gegen alle gerichtlich vorgehen, die offen den Dialog mit den Vereinigten Staaten fordern. Das nationale Interesse gebiete Gegnerschaft zu den USA. „Wir verdammen jede feige Haltung gegen Amerika und jede Rede von Kompromiss mit dem Großen Satan.“ Chatamis Reform-Fraktion hat derzeit, schonend gesagt, keinen Rückenwind.

Das schriftliche Urteil gegen Kambis und den Hund Mischka ist inzwischen ergangen. Es fällt niederschmetternd aus: 500000 Rial Geldstrafe, was immerhin der Monatsverdienst eines Arbeiters ist; der Hund muss von einem staatlichen Veterinär-Institut eingeschläfert werden. Denn durch seine Zurschaustellung wurde–so der Text–„die Würde des Volkes verletzt“. Das bringt den Vater von Kambis auf den Plan, der vor allem sein Auto zurückhaben möchte. Er zahlt und meldet Mischka gleichzeitig beim Gerichtsvollzieher als „entlaufen“ an. Doch das wird nicht akzeptiert. „Wenn hier steht, der Hund wird aufgehängt, dann hänge ich ihn auf“, sagt der pflichtbewusste Vollstreckungsbeamte. „Und wenn hier steht, du wirst aufgehängt, dann hänge ich dich auf. Zehn wie dich hänge ich auf am Tag! Raus!“

Spätestens an dieser Stelle wird das Drama zur Groteske. Um Mischka zu retten, wird ein Ersatzopfer gefunden, ein Hund, den sein Besitzer loswerden möchte. Seine kleine Tochter wird damit beschwichtigt, ihr Liebling werde in Zukunft statt in einer engen Etagenwohnung in einem schönen Garten leben. Aber zwei Veterinär-Institute weigern sich, den falschen Mischka zu töten. „So etwas ist nicht unsere Sache“, sagen die Ärzte standhaft. Sie bestätigen es sogar schriftlich. Jetzt gibt das Gericht nach: Der Hund Mischka ist begnadigt. Mit dem Ersatz-Delinquenten fahren die vier Freunde spät in der Nacht 50 Kilometer weit aus der Stadt. Sie setzen ihn auf einem großen Villengrundstück aus. Wenigstens hat das Versprechen vom „schönen Garten“ eine Chance.

gefunden




saludos la loca




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  • 20. April 2024
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Hi la loca ... hast du hier schon mal geguckt?
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