Hexe
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Frankfurter Rundschau vom 09.10.2000 OnLine
...://www.fr-aktuell.de/fr/181/t181013.htm
"Der Hund ist gefährlich, alles andere entscheidet das Ordnungsamt"
Die vorgeschriebene Wesensprüfung für den Kampfhund der Rasse Staffordshire Bullterrier namens "Baby" endet bei der Halterin in Tränen
Von Canan Topçu
Baby ist ein Staffordshire Bullterrier. Damit gehört er zur Gruppe der Kampfhunde, die einer Wesensprüfung unterzogen werden müssen. Besteht der sechsjährige Vierbeiner den Test?
Heike W. und ihr Sohn Patrick, die am Samstagmorgen mit ihrem Liebling aus Hanau nach Oberrad angereist sind, wirken nervös. Die beiden warten am Goldbergweg darauf, dass es losgehen kann. Für zehn Uhr haben sie einen Termin bei Gerald Groos, der als einer von 38 Sachverständigen in Hessen die Wesensprüfung abnehmen darf. Seitdem die Gefahrenabwehrverordnung des hessischen Innenministeriums im Juli dieses Jahres in Kraft getreten ist, hat der 41-Jährige, hauptberuflich an der Hessischen Polizeischule als Abrichtelehrer tätig, schon 120 Hunde getestet.
"Wir gehen jetzt zum Feld, bitte im Ortsteil die Leine nicht lösen", sagt der Sachverständige zu Patrick, der Baby an der Leine hält. "Gehen Sie bitte vor mir", lautet die nächste Anweisung. Während sich Patrick und Heike W. mit Baby Richtung Ortsausgang aufmachen, schreibt Groos die ersten Notizen auf den Fragebogen, der auf einer Schreibunterlage klemmt. Die Testkriterien orientieren sich, so erklärt er unterwegs, an den Vorgaben des Verbands Deutschen Hundewesens (VDH). Mit knapp zwei Stunden rechne er für die Prüfung, bei der er die Reaktionen des Hundes in unterschiedlichen
Situationen beobachte. Wie verhält er sich beim Spaziergang, wie wenn Menschen oder Hunde entgegen kommen? Was macht er, wenn er allein gelassen, wenn er bedroht wird? Wie reagiert er auf Lärm?
Schon nach ein paar Minuten stellt Groos fest, dass Baby ein nervöses Wesen hat. "Ihr ganzer Körper drückt das aus." Unruhige Bewegungen, die Ohren angelegt, ein hibbeliges Wedeln mit dem Schwanz. Dass der Hund demnach seine Nervosität in Aggressionen umsetzt - für Groos ist das kein gutes Zeichen. So wollte der Terrier zuschnappen, als eine Frau auf ihn zuging und ihn
streicheln wollte. "Das ist sie nicht gewöhnt" - die Erklärung von Halterin Heike W. bleibt unbeantwortet; zu Ausreden von Hundebesitzern, die das Fehlverhalten ihrer Lieblinge rechtfertigen, äußerst sich der Experte vorerst nicht.
Baby gehört zum Nachwuchs einer Hündin aus dem Bekanntenkreis, berichtet Heike W. auf dem Weg zum Testgelände. "Eigentlich sollte sie eingeschläfert werden." Die Mutter habe nämlich den Welpen gebissen und ausgestoßen. Weil ihr Sohn aber schon immer einen Hund wollte, habe sie seinem Wunsch nicht widerstehen können. Das war vor sechs Jahren. Inzwischen kann und mag auch sie sich von Baby nicht trennen.
Auf dem abzäunten Grundstück angekommen, das sich in einer Gartenkolonie am
Ortsrand von Oberrad befindet, fordert Gerald Groos Patrick auf, den Hund von der Leine zu lassen. Unbeholfen wirken der 19-Jährige und seine Mutter, die mitten auf dem Grundstück stehen. "Was sollen wir jetzt machen", fragt Heike W. "Einfach laufen lassen", lautet die Antwort des Experten.
Baby läuft im Garten umher, beschnuppert den Rasen, zwischendurch kommt er zu "Frauchen" zurück, lässt sich von ihr streicheln. Groos beobachtet das Verhalten des Tieres, notiert schließlich auf dem Blatt, dass Baby auf die
Hundehalter fixiert ist, dass sich der Hund nicht locken und von ihm anfassen
lässt.
Als nächstes testet der Sachverständige, wie sich der Hund an der Leine verhält - und zwar, wenn die Bezugspersonen nicht in seinem Blickfeld sind.
Das Tier wird an einen Pfosten gebunden. Heike W. und Patrick müssen sich
hinter der Gartenhütte verstecken. Baby schaut um sich, als die beiden verschwinden. Er winselt, zieht aber nicht an der Leine. Plötzlich hört er das Gebell anderer Hunde. Er kläfft laut zurück. "Die allgemeine Unsicherheit zieht sich wie ein roter Faden durch die Prüfung, das ist ein Teil seines Ichs", urteilt der Experte.
Heike W. und Patrick müssen sich auch versteckt halten, während Groos prüft,
wie Baby auf den Fluchtreiz reagiert. Langsam geht er auf den Hund zu, kurz vor ihm angekommen, rennt er schnell an dem Tier vorbei. Baby beißt in die Luft, kaum dass sich Groos ihm angenähert hat. Und als der Prüfer mit energischen Drohgebärden auf den Hund zuläuft, knurrt dieser, bellt, schießt
vor und will wieder zubeißen. Kurze Zeit später geht Groos mit der
Schreibunterlage in der Hand zu Baby, hält ihm den Gegenstand vor. Sofort
schnappt der Hund zu - ohne dass er bedroht wurde.
Das hätte Baby nicht machen dürfen. Groos bricht die Prüfung ab. Für ihn ist klar: Das Tier hat ein Kriterium des Wesenstests nicht erfüllt hat. Wenn eines der Kriterien nicht erfüllt ist, dann heißt das: durchgefallen. Groos ruft Heike W. und Patrick zu sich. "Also", erklärt er den beiden behutsam,
"für mich steht fest: Der Hund ist gefährlich, alles andere entscheidet das Ordnungsamt". So, wie sich das Tier gebärde, deute es darauf hin, dass es sich nicht hundegerecht verhalte. "Der flammt ja einen richtig an."
Heike W. und ihr Sohn sind sprachlos, damit haben sie nicht gerechnet. Die beiden sind sichtlich betrübt. Tränen fallen. Sie hören sich zunächst kommentarlos an, was ihnen der Prüfer sagt. "Das Tier ist sehr unsicher und
setzt dieses in Aggressionen um." Für Groos ist das ein Fehlverhalten, denn ein Hund ist schließlich ein soziales Wesen und darf nicht gleich zuschnappen, wenn ein Mensch auf ihn zukommt.
"Ja, aber Baby ist das nicht gewöhnt", sagt Heike W.. Zuhause, da habe sie im Garten großen Auslauf, und in die Stadt gehe sie mit ihr eh nicht, und wenn Besuch komme, sperre sie den Terrier aus. Das wiederum, so Groos, sei ein eindeutig falsches Verhalten der Hundehalter. Die meisten erzögen ihr Tier
nicht - oder falsch, so ist seine Erfahrung. Doch nicht nur einen mangelnden fachgerechten Umgang macht der Experte für Babys Fehlverhalten verantwortlich. Er vermutet auch einen genetischen Defekt, den viele
Mischlinge aufwiesen. Dass es sich bei Baby nicht um einen reinrassigen
Staffordshire handele, sehe man ihm an.
"Warten Sie, bis sie mein Gutachten erhalten haben und legen das dem Ordnungsamt vor", sagt Groos. Heike W. befürchtet das Schlimmste. "Aber es ist doch mein drittes Kind, ich kann es doch nicht einschläfern lassen", sagt sie weinend. Ob der Hund sterilisiert oder gar eingeschläfert werden müsse, das entscheide letztlich das Amt, darauf habe er keinen Einfluss, betont der
Sachverständige. Fest steht aber, dass er der Ordnungsbehörde das Prüfungsergebnis mitteilen wird. Damit hat sich Heike W. zuvor mit ihrer Unterschrift einverstanden erklärt.
"Lassen Sie es erst mal auf sich wirken", rät der Experte der Frau. Ihre Argumente, warum sich der Hund angeblich merkwürdig verhalten habe, sind für ihn nicht von Belang. "Zehn Prozent der Prüflinge haben den Wesenstest
bislang nicht bestanden", berichtet Groos. Und einer von ihnen ist Baby.
...://www.fr-aktuell.de/fr/181/t181013.htm
"Der Hund ist gefährlich, alles andere entscheidet das Ordnungsamt"
Die vorgeschriebene Wesensprüfung für den Kampfhund der Rasse Staffordshire Bullterrier namens "Baby" endet bei der Halterin in Tränen
Von Canan Topçu
Baby ist ein Staffordshire Bullterrier. Damit gehört er zur Gruppe der Kampfhunde, die einer Wesensprüfung unterzogen werden müssen. Besteht der sechsjährige Vierbeiner den Test?
Heike W. und ihr Sohn Patrick, die am Samstagmorgen mit ihrem Liebling aus Hanau nach Oberrad angereist sind, wirken nervös. Die beiden warten am Goldbergweg darauf, dass es losgehen kann. Für zehn Uhr haben sie einen Termin bei Gerald Groos, der als einer von 38 Sachverständigen in Hessen die Wesensprüfung abnehmen darf. Seitdem die Gefahrenabwehrverordnung des hessischen Innenministeriums im Juli dieses Jahres in Kraft getreten ist, hat der 41-Jährige, hauptberuflich an der Hessischen Polizeischule als Abrichtelehrer tätig, schon 120 Hunde getestet.
"Wir gehen jetzt zum Feld, bitte im Ortsteil die Leine nicht lösen", sagt der Sachverständige zu Patrick, der Baby an der Leine hält. "Gehen Sie bitte vor mir", lautet die nächste Anweisung. Während sich Patrick und Heike W. mit Baby Richtung Ortsausgang aufmachen, schreibt Groos die ersten Notizen auf den Fragebogen, der auf einer Schreibunterlage klemmt. Die Testkriterien orientieren sich, so erklärt er unterwegs, an den Vorgaben des Verbands Deutschen Hundewesens (VDH). Mit knapp zwei Stunden rechne er für die Prüfung, bei der er die Reaktionen des Hundes in unterschiedlichen
Situationen beobachte. Wie verhält er sich beim Spaziergang, wie wenn Menschen oder Hunde entgegen kommen? Was macht er, wenn er allein gelassen, wenn er bedroht wird? Wie reagiert er auf Lärm?
Schon nach ein paar Minuten stellt Groos fest, dass Baby ein nervöses Wesen hat. "Ihr ganzer Körper drückt das aus." Unruhige Bewegungen, die Ohren angelegt, ein hibbeliges Wedeln mit dem Schwanz. Dass der Hund demnach seine Nervosität in Aggressionen umsetzt - für Groos ist das kein gutes Zeichen. So wollte der Terrier zuschnappen, als eine Frau auf ihn zuging und ihn
streicheln wollte. "Das ist sie nicht gewöhnt" - die Erklärung von Halterin Heike W. bleibt unbeantwortet; zu Ausreden von Hundebesitzern, die das Fehlverhalten ihrer Lieblinge rechtfertigen, äußerst sich der Experte vorerst nicht.
Baby gehört zum Nachwuchs einer Hündin aus dem Bekanntenkreis, berichtet Heike W. auf dem Weg zum Testgelände. "Eigentlich sollte sie eingeschläfert werden." Die Mutter habe nämlich den Welpen gebissen und ausgestoßen. Weil ihr Sohn aber schon immer einen Hund wollte, habe sie seinem Wunsch nicht widerstehen können. Das war vor sechs Jahren. Inzwischen kann und mag auch sie sich von Baby nicht trennen.
Auf dem abzäunten Grundstück angekommen, das sich in einer Gartenkolonie am
Ortsrand von Oberrad befindet, fordert Gerald Groos Patrick auf, den Hund von der Leine zu lassen. Unbeholfen wirken der 19-Jährige und seine Mutter, die mitten auf dem Grundstück stehen. "Was sollen wir jetzt machen", fragt Heike W. "Einfach laufen lassen", lautet die Antwort des Experten.
Baby läuft im Garten umher, beschnuppert den Rasen, zwischendurch kommt er zu "Frauchen" zurück, lässt sich von ihr streicheln. Groos beobachtet das Verhalten des Tieres, notiert schließlich auf dem Blatt, dass Baby auf die
Hundehalter fixiert ist, dass sich der Hund nicht locken und von ihm anfassen
lässt.
Als nächstes testet der Sachverständige, wie sich der Hund an der Leine verhält - und zwar, wenn die Bezugspersonen nicht in seinem Blickfeld sind.
Das Tier wird an einen Pfosten gebunden. Heike W. und Patrick müssen sich
hinter der Gartenhütte verstecken. Baby schaut um sich, als die beiden verschwinden. Er winselt, zieht aber nicht an der Leine. Plötzlich hört er das Gebell anderer Hunde. Er kläfft laut zurück. "Die allgemeine Unsicherheit zieht sich wie ein roter Faden durch die Prüfung, das ist ein Teil seines Ichs", urteilt der Experte.
Heike W. und Patrick müssen sich auch versteckt halten, während Groos prüft,
wie Baby auf den Fluchtreiz reagiert. Langsam geht er auf den Hund zu, kurz vor ihm angekommen, rennt er schnell an dem Tier vorbei. Baby beißt in die Luft, kaum dass sich Groos ihm angenähert hat. Und als der Prüfer mit energischen Drohgebärden auf den Hund zuläuft, knurrt dieser, bellt, schießt
vor und will wieder zubeißen. Kurze Zeit später geht Groos mit der
Schreibunterlage in der Hand zu Baby, hält ihm den Gegenstand vor. Sofort
schnappt der Hund zu - ohne dass er bedroht wurde.
Das hätte Baby nicht machen dürfen. Groos bricht die Prüfung ab. Für ihn ist klar: Das Tier hat ein Kriterium des Wesenstests nicht erfüllt hat. Wenn eines der Kriterien nicht erfüllt ist, dann heißt das: durchgefallen. Groos ruft Heike W. und Patrick zu sich. "Also", erklärt er den beiden behutsam,
"für mich steht fest: Der Hund ist gefährlich, alles andere entscheidet das Ordnungsamt". So, wie sich das Tier gebärde, deute es darauf hin, dass es sich nicht hundegerecht verhalte. "Der flammt ja einen richtig an."
Heike W. und ihr Sohn sind sprachlos, damit haben sie nicht gerechnet. Die beiden sind sichtlich betrübt. Tränen fallen. Sie hören sich zunächst kommentarlos an, was ihnen der Prüfer sagt. "Das Tier ist sehr unsicher und
setzt dieses in Aggressionen um." Für Groos ist das ein Fehlverhalten, denn ein Hund ist schließlich ein soziales Wesen und darf nicht gleich zuschnappen, wenn ein Mensch auf ihn zukommt.
"Ja, aber Baby ist das nicht gewöhnt", sagt Heike W.. Zuhause, da habe sie im Garten großen Auslauf, und in die Stadt gehe sie mit ihr eh nicht, und wenn Besuch komme, sperre sie den Terrier aus. Das wiederum, so Groos, sei ein eindeutig falsches Verhalten der Hundehalter. Die meisten erzögen ihr Tier
nicht - oder falsch, so ist seine Erfahrung. Doch nicht nur einen mangelnden fachgerechten Umgang macht der Experte für Babys Fehlverhalten verantwortlich. Er vermutet auch einen genetischen Defekt, den viele
Mischlinge aufwiesen. Dass es sich bei Baby nicht um einen reinrassigen
Staffordshire handele, sehe man ihm an.
"Warten Sie, bis sie mein Gutachten erhalten haben und legen das dem Ordnungsamt vor", sagt Groos. Heike W. befürchtet das Schlimmste. "Aber es ist doch mein drittes Kind, ich kann es doch nicht einschläfern lassen", sagt sie weinend. Ob der Hund sterilisiert oder gar eingeschläfert werden müsse, das entscheide letztlich das Amt, darauf habe er keinen Einfluss, betont der
Sachverständige. Fest steht aber, dass er der Ordnungsbehörde das Prüfungsergebnis mitteilen wird. Damit hat sich Heike W. zuvor mit ihrer Unterschrift einverstanden erklärt.
"Lassen Sie es erst mal auf sich wirken", rät der Experte der Frau. Ihre Argumente, warum sich der Hund angeblich merkwürdig verhalten habe, sind für ihn nicht von Belang. "Zehn Prozent der Prüflinge haben den Wesenstest
bislang nicht bestanden", berichtet Groos. Und einer von ihnen ist Baby.