Evolutiongeschichte

dog-aid

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Evolutiongeschichte
Der Haushund ist älter als bisher angenommen
Eine Besinnung darauf, woher das Tier kommt, das wir bei uns aufnehmen, erklärt sein Verhalten. Wir interessieren uns ja auch für unsere Vorfahren. Daraus leiten wir viele unserer Eigenheiten und Veranlagungen ab.

Die Urgruppe der Carnivoren (Tierfresser) hat viele Verwandte: Ich will nicht zu ausführlich in zoologischer Historie graben, nur so viel: Katzen, Hunde, Marder und Bären sind ursprünglich enge Verwandte, aus denen sich vielfältige Formen bildeten. Darunter kleinste wie das Mauswiesel und grösste wie der Säbelzahntiger oder heute der Kodiakbär. Einer der ursprünglichsten Wildhunde ist der (kleine) Erdwolf. Wildhunde spalteten sich alsbald ab und gründeten Jagdgemeinschaften rund um den Erdball. Nur im Rudel konnten Hunde ihren Bestand halten. Die Canidae (Hundeartige) sind Läufer, weil hetzende Beutefänger. Unter ihren ausgeprägten Sinnen steht der Geruch an erster Stelle.

Über die Herkunft des Haushundes ist viel geforscht, gerätselt und verworfen worden. Prof. Dr. Konrad Lorenz stellte die Vermutung an, dass der Goldschakal wohl der Vater aller domestizierten Hunde sei. Später kehrte er, wie schon andere Ethologen, von seiner früheren Annahme ab und schloss sich nun den meisten anderen an, die überzeugt sind, dass der Hund vom Wolf, also vom Canis lupus abstamme. Seit der umfassenden DNA-Analyse eines Forscherteams aus Los Angeles, am 13. Juni 1997 in "Science" veröffentlicht, herrscht Klarheit: der Grauwolf ist der Vater aller Hunde.

Untersucht wurden Gewebeproben von 162 Grauwölfen aus verschiedenen Erdteilen, von 140 Haushunden aus 67 Rassen - auch Proben von Kojoten und Schakalen, weil sich alle Caniden untereinander verpaaren können. Die Analyse ergab, dass der Hund vom Grauwolf abstammt und von keinem anderen Caniden. Beim Wolf wurden dabei 27 unterschiedliche Sequenzen (Haplotypen) in einer Gewebe-Kontrollregion gefunden, die für hohe Mutationsraten bekannt sind. Beim Haushund deren 26. Die Sequenzen von Wolf und Hund waren in den überwiegenden Stellen viel ähnlicher als die zwischen Schakalen oder Kojoten und Hunden.

Kam der Mensch nicht schon früher auf den Hund als vor 15 000 Jahren, als im mittelschwedischen Bohuslän ein Hund in einem Menschenfamiliengrab bestattet wurde? Die Genetiker Carles Vilà und Robert Wayne schreiben in ihrem Aufsehen erregenden Bericht in "Science" auch davon, dass es Hundeartige schon vor rund 135 000 Jahren gegeben haben könnte. Vorläufer des canis familiaris, die sich noch nicht stark vom Ursprung abhoben, also marder- und bärenähnlich aussahen.

Anfang November 1999 fand der Pariser Prähistoriker Michel-Alain Garcia in der südfranzösischen Chauvet-Höhle Pfotenspuren, die etwa 25 000 Jahre alt sein sollen. Der Franzose ordnet die Pfoten, die neben denen eines Löwen abgedrückt sind, einem vergleichbaren heutigen Schäferhund zu. Die Schäferhundpfoten fotografierte er an Ort und Stelle, weil gerade ein solcher Hund an der Fundstelle vorbeilief. Die Verwechslung mit Wolfsspuren konnte er damit ausschliessen, weil sie eine andere Zehenstellung haben. Die Pfotenabdrücke in der Höhle waren also mit jenen des modernen Schäferhundes identisch.

Muss die Geschichte der Haushundwerdung also neu geschrieben werden, wie der "Spiegel" meint? Nein, nur vordatiert. Je älter diese Beziehung wird, desto blamabler ist freilich der gegenwärtige Stand der Beziehung. Der Ursprung unserer Hunde, nach der Abspaltung von der Obergruppe der Myaziden (den Ahnen der Bären, Marder, Katzen und Hundeartigen), muss Wildhundeartige der verschiedensten Varietäten hervorgebracht haben, und je nach Nahrungsaufkommen und Klima verschieden grosse und befellte.

Wölfe sind den Urmenschen seit 400 000 Jahren bekannt. Der Wolf, der uns heute im Kopf schwebt, war damals sicherlich ein anderer. Darunter gab es kleinere, die sich vom Urahn abspalteten und heute als Kojoten bekannt sind. Die Indianer nannten den Kojoten (heute maximal 60 Zentimeter Schulterhöhe und rund 20 Kilo) Präriewolf oder Gotteshund. Wölfe gab es in allen Erdteilen, den europäischen Wolf (Canis lupus lupus) ebenso wie früher den japanischen, heute noch den Nebraska-, Mackenzie-Wald-, Alaska-Tundra-, den mongolischen, indischen und Rotwolf. Die Unterfamilie Caninae zählt Kojoten, Schabracken-, Streifen-, Gold- und Himalaja-Goldschakal. Wildhunde kommen dazu: afrikanische, australische, asiatische. Zu den Verwandten zählen auch die Hyänen, dem Hund und Wolf an Kraft weit überlegen (Gebisskraft über 700 Kilopond pro Quadratzentimeter; mittelgrosse Schäferhunde rund 180, grosse wie Molosser oder Herdenschutzhunde etwa 220-300 kp/cm²).


Prof. Dr. Viktor Goerttler in "Grzimeks Tierleben": "Ob sich zur Mittelsteinzeit (vor rund 15 000 Jahren) in den alten Kulturländern des Mittelmeerraums, Vorder- und Südasiens die Wölfe zunächst freiwillig als Abfallvertilger den umherstreifenden Jägerstämmen angeschlossen haben und von den Menschen immer mehr als Beuteaufspürer und Warner vor Gefahren geschätzt wurden oder ob der Mensch in Vorderindien, später in Kleinasien, den Wolf anfangs als Schlachttier zur Fleischversorgung hielt und dann erkannte, dass er diese Tierart auch als vielgewandten Helfer nutzen konnte, das wissen wir nicht. Jedenfalls gab es in der Mittel- und Jungsteinzeit schon prähistorische Haushundformen. Es ist aber völlig abwegig, die heutigen Hunderassen von solchen vorgeschichtlichen Hunden ableiten zu wollen, denn unsere Haushundrassen lassen sich nicht weiter zurückverfolgen, als die Tierbilder der alten Niederländer, die Zuchtbücher der Züchtervereinigungen und andere künstlerische oder schriftliche Überlieferungen zurückreichen. Von vorgeschichtlichen Hunden kennt man nur einige wenige Schädel, oft lediglich Schädelbruchstücke oder sogar bloss einige Zähne, so dass sich zum Beispiel die Rassespitze unserer Zeit nicht vom steinzeitlichen "Torfspitz" ableiten lassen."

Alle historischen Wölfe können also zur Haushundwerdung beigetragen haben, denn die Domestizierung des wilden Hundes fand in allen Ecken der Erde statt. Zwar kann der nordische Wolf nicht auf der südlichen Halbkugel als Stammvater gelten. Aber auch afrikanische, südasiatische und australische Wölfe, besonders aber Wildhunde können wegen ihres extrem ausgebildeten Sozial- und Jagdgemeinschafts-Verhaltens, und die Kojoten dank ihrer ebenfalls ausgeprägten Sozialarbeit und hervorragenden Überlebensfähigkeit zu den Taufpaten des Haushundes zählen. Wildhundartige pflegen eine komplexe, nicht jedoch komplizierte Kommunikation, ein strenges Management. Sie arbeiten nur im Team erfolgreich. Ihre Kommunikations-Vielfalt konnten sie nur im Rudel lernen und weitergeben.

Die Frage bleibt, inwiefern und wie intensiv der Urahn des Wild- und Hauswolfs zum prädomestizierten Hund beigetragen hat. Wie bei Hunden sind die Körpermasse von Wölfen anpassungsfähig - zwischen 60 und 80 Zentimeter Schulterhöhe sowie 15 und 60 Kilo Gewicht, je nach Beuteaufkommen und Umgebungssituation. Fest steht, dass der Haushund mit schätzungsweise mindestens 25 000 Jahren das älteste domestizierte Tier ist, weit vor den Ziegen (etwa 9 000), Schafen, Rindern, Katzen (je 6 000 bis 8 000), Esel (6 000), Schweinen (5 000), Gänsen (4 500) und Kaninchen/Hasen sowie Pferden (je 3 000). Schon aus diesem Grund ist der Hund wohl das an den Menschen anpassungsfähigste Haustier.

Der Wildbiologe Dr. Erik Zimen stellte in seiner Fernsehserie "Wolfsspuren" eine Verbindung zu Frauen her, die wohl die ersten Schritte zum Wolf als künftigen Haushund unternahmen. Das ist schon deshalb glaubwürdig, weil aus vielen historischen Zeichnungen herzuleiten, sowie aus der engen familiären Bindung von Busch- und Steppenvölkern, bei denen Welpen ebenso wie andere junge Säugetiere an die Brust gesetzt wurden. Die Domestikation von Wildtieren war vor allem eine Leistung von Frauen! Den "Rest" könnte die weibliche Fürsorge elternloser Welpen besorgt haben. Diese "Mammophilie" würde auch moderne Exzesse erklären, bei denen Frauen immer wieder den Kindersatz im Hundebaby suchen und finden.

Die Indianer Nordamerikas schätzten Wölfe als feste Charaktere und wegen ihrer sozialen Treue. Sie hielten natürlich auch "Haus"-Hunde. Die einzige Ausnahme waren die Beothuk von Neufundland. (Nach denen wurde aber eine Wolfsart benannt.) Bei allen Graslandindianern mussten Hunde die Tipi-Stangen tragen. Die Hunde schleppten wie die Pferde und Menschen Geräte. An der Seite trugen die Hunde Trageschleifen (Travois), an denen kleine Lasten befestigt waren. Der Hund war zum Beispiel bei den Comanche ein "Cousin des Kojoten", der in der Mythologie eine Art Spitzbubenrolle auslebte und nach den Angaben einer angesehenen Medizinfrau einmal Menschenfleisch gegessen haben soll. Da Kannibalismus völlig abgelehnt wurde, war eben auch Hundefleisch tabu. Hunde jagten mit den Männern, halfen Fischnetze einzuziehen, waren bei den Inuit vor den Schlitten gespannt und bewachten Tipis und Kinder. Die Hunde schliefen im Tipi. Eine "Rasse" (obwohl Indianer nie an eine "Reinzucht" dachten, weil Hunde frei waren) gab es nur in Form des Chinook. Dieser sehr starke Typ wurde von den ursprünglichen Besitzern zurückgenommen, wenn er das Leben seiner Familie nicht bis zum Tode verteidigte. So die Chinook-Legende.

Zuerst war der neue Haushund ein Jagdgenosse, der den menschlichen Jägern zeigte, wo es was zu holen gab. Möglich, dass da ein Beutestück zum in respektvollem Abstand wartenden Hunderudel geworfen wurde, als Opfergabe für die Anzeige. Daraus mag sich in vielen Jahren der Gewöhnung eine lockere Jagdgenossenschaft entwickelt haben. Wenn Welpen verwaisten, wurden sie wahrscheinlich aus diesem nützlichen Grund in die Menschenfamilie aufgenommen; dort konnten sie ihre Sozial- und Wach- wie Jagdtriebe unter neuer Herrschaft weiterleben und wurden bald zu Zugarbeiten (frühe Schlittenhunde) benutzt.

Hunde waren, als sie in Menschenhand gerieten, fortan ausschliesslich Nutztiere. Nur die kleingeratenen Exemplare legte man in den Schoss fürsorglicher Frauen. Bis der werdende Haushund den Schutzaufgaben bei Haustierherden, auch ohne Selbstbedienung zuverlässig nachgekommen ist, wird noch sehr viel Zeit vergangen sein. Ebenso wie verwilderte Haushunde folgen auch unbeaufsichtigte Hunde im Zufallsrudel heute noch ungehemmt ihrer selbständigen Nahrungsbeschaffung. Der eigennützige Beutetrieb bei den frühen Haushunden nahm erst in vielen Jahrhunderten ab, weil die Hunde zunehmend in Abhängigkeit von Menschen gerieten oder von ihnen versorgt wurden. Dies führte immer mehr zur Territoriumstreue, und die wiederum zum Schutz des Territoriums - inklusive Menschenfamilie (als Ersatzrudel) - vor den Wildhunden. Territoriumstreue ist auch bei Kojoten bekannt. Ein Elternpaar bewohnt oft über 20 Jahre dieselben Wurfhöhlen.

Aus den Erfahrungen der ersten menschlichen Herdenbesitzer mit Hunden ist anzunehmen, dass sie ihre Nutztiere erst einmal im offenen Gelände ohne Unterstützung durch Hunde zusammenhielten und zu beschützen versuchten. Einige Wildbiologen meinen, dass die Haushundemacher durchaus gute Erfahrungen mit den Wildhunderudeln machten, weil sie durch ständige Opfergaben in Form verendeter Herdentiere ein Territoriumsbewusstsein heranbildeten. Da war bequem Beutemachen, also blieben die Rudel in Wurfreichweite der Hirten beziehungsweise der Herde. Man gewöhnte sich aneinander, weil auch die Wildhunderudel durch die Zuwendung der Hirten vom Beutemachen abgehalten wurden. Das Arrangement bewährte sich wahrscheinlich so, dass die zutraulicheren Hunde gleich bei den Hirten blieben. Die Hirten ihrerseits sorgten durch harte Auslese dafür, dass die Hunde nicht wieder in Selbstbedienung zurückfielen. Den jagenden Treiber bauten sie zum ordentlichen um. Als Belohnung (heute: "positive Verstärkung") gab es auf indirektem Wege Fleisch von den Beschützten. Das Territorium der geeigneten Hunde wurde gefestigt. Diese dankten es insofern, als sie Eindringlinge ins neue Revier vertrieben; wie sie es bei ihren mobilen Territorien auch schon taten. Eine bewusstere Selektion nach geeigneten Arbeitshunden unter den Hirten war wohl entscheidend für die Prägung der Veranlagungen zum Hüten, Treiben, Beschützen. Denn das Hüten ist nichts anderes als umfunktioniertes Treiben; in den Regeln, die der neue Rudelboss Mensch förderte. Aus den spezieller werdenden Aufgaben der Herdenzucht suchten die Hirten nun mit der Zeit kleinere, wendige für das Treiben, Zusammenhalten und Abschneiden, grössere für Wach- und Schutzaufgaben.

Zu allen Zeiten wurden grosse und wehrhafte Hunde als Kampfgenossen missbraucht; auch im japanischen Mittelalter, wo der Akita und besonders der heute rare Tosa Inu den Samurais diente. Andere Hunde wurden in den Weltkriegen später als lebendige Minenräumer in die Luft gejagt, oder dienten als Meldegänger oder Suchhunde. Wenn viele Rassehundezüchter von ihrem Auftrag schwärmen, eine alte Rasse zu pflegen, so phantasieren sie gern. Keine dieser "ursprünglichen, alten" Rassen sieht heute noch so aus wie ihr Vorbild. Bei allen historischen Beschreibungen, von Emil Hauck bis Sven Hedin oder Strebel, wurde von Massen und Wesensarten der (fremden) Hunde berichtet, die sich bei näherem Hinsehen als masslos übertrieben bis falsch erwiesen haben. Da wurde zum Beispiel der Tibet-Mastiff, der Do-Khyi (Anbinde-Hund) gleich mal 20 Zentimeter grösser geschätzt, wie er sich dann nach den ersten Importen nach England entpuppte.

Die Versuchung, nach Rassen zu ordnen, keimte wohl um die Jahrhundertwende auf. Der Präsident der Akbash Dog International, Tierarzt David E. Sims, schrieb zu den Vermutungen, die in vielen Hundezuchtvereinen als historisch gelten: "Viele Zuchtvereine haben Pamphlete oder Bücher mit reichhaltig bebilderter Beschreibung über ihre Rasse. Das Problem ist: Wenn man sie nach Beweisen oder historischen Dokumenten fragt, die nach Fakten verifizieren würden, dann finden sie keine Begründung."

Ich führe dazu ein besonders märchenhaftes Beispiel an: Die chinesische Rasse Shar Pei wird gern als eine dargestellt, die über 2 000 Jahre alt sei. Doch nun hat sich eine Züchterin geoutet, als sie auf ihrer Internet-Homepage davon erzählte, dass 1972 in Hongkong verschiedene Mischlinge zu dieser Rasse herangezogen worden seien. Macht mal gerade 28 Jahre. Soviel zu einigen "alten" Rassen.

©Hundezeitung.de 2000



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  • 16. April 2024
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Hi dog-aid ... hast du hier schon mal geguckt?
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