Ein Jahr lang Tierschutz

MonsterKitty

10 Jahre Mitglied
Das Jahr 2011 war für mich sehr ereignisreich. :)
Einige Eindrücke sind bereits nieder geschrieben, andere verhallten irgendwo in den Gedankengängen. Hier ein paar Geschichten aus unserem Leben:




Eindruck von Februar 2011

Der Hund, mit dem man nie schimpfen kann.


Neuerdings gehe ich samstags meinen Hunden fremd. Mehrmals am Tag sogar. Seit einigen Wochen zähle ich mich zu der Bande, die ****** - Kampfköter ausführt und dabei übers ganze Gesicht zufrieden grinsend durch die Gegend läuft, wenn der "Köter" an der Leine hechelt und gar nicht mehr zurück in seinen Käfig möchte. Käfig? Oh, ja. So würde ich es bezeichnen. Umgeben von lauten und hysterischen Kollegen, die man zwar immer hört, aber nie sieht. Was sie wohl sagen? Ob die Hunde sich manchmal wünschen, taub zu sein, um endlich zur Ruhe zu kommen?
Dieses Problem hat ein Hund nicht. Jeremy - unser weißes Monster, das vor dem Gitter keift und sich vor streichelnden Händen weg duckt. "Bleibt fern!" - verstehen die Menschen. "Bleib da!"- schreit er wohl. Jeremy ist ein weißer Bullterrier. Als solcher bereits schuldig auf die Welt gekommen ist er zusätzlich auch gehörlos. Segen? Fluch? Es ist - wie so oft - eine Münze mit zwei Seiten. 2006 geboren. Seit er 2 1/2 Jahre alt war, zählt er zu den Notfällen unserer Vermittlung. Alle den Mathetest bestanden? Dann weiter in der Erzählung.

Als ich Jeremy das erste Mal in Farbe sah, hatte ich Mitleid. Das fühle ich immer noch, aber ich stehe darüber und hole ihn jeden Samstag aus seinem Käfig, lächle ihn an - lächle auch, wenn ich ihn zurückbringe und tätschle ihn, wenn auf dem Gang alles aus unserer Reichweite springt und sich in Sicherheit bringt. Das erste Mal stand ich nur vor seinem Gitter. Er bellte. Ich fragte mich, was ich tun kann, damit er aufhört. Alles Einreden nützt bei ihm natürlich nichts. Auch Leckereien sind ihm egal. Jerry will nur, dass man ihm vertraut, dass er vertrauen kann. Mehr nicht. Doch wenn man das nicht weiß, ist man mit ihm wahrlich überfordert. So auch ich. Ich wusste nicht, wie ich ihm etwas Gutes tun konnte und musste es dabei belassen. Jeremy wäre mit mir nicht spazieren gegangen.

Doch Aufgeben kam nicht in Frage. Als mehrmalige nicht ausgezeichnete Terrier Bezwingerin und Dompteurin würde ich erst meine Ruhe finden, wenn Jeremy neben mir liefe! Also kontaktierte ich seine Gassi Geherin, die die hündische Gebärdensprache bereits beherrschte. Hast du einen Kong? Eine Frage die mich verblüffte und die ich bejahen konnte. Jeder Hundebesitzer hat dieses Teil wohl irgendwo zuhause herumliegen, das er hin und wieder euphorisch mit Wurst ähnlichen Substanzen beschmiert und seinen Hund zu beschäftigen versucht. Aber. Ein Hartgummispielzeug soll der Schlüssel zu Jerrys Herzen sein? Nun, ja, es galt, es auszuprobieren. Samstag darauf stand ich also mit einem Kong vor seinem Gitter. Enttäuscht musste ich jedoch feststellen, dass er mich immer noch anbellte. Aber ich wäre nicht ich, wenn ich es nicht drauf ankommen ließe. Ich ließ mir Jeremys Kämmerchen öffnen und stand schon darin, brachte mich in Augenhöhe und hielt ihm den Kong hin. Und siehe da! Jerry beachtete mich - oder eher das Spielzeug und stürzte sich vertrauensselig darauf. Die Leine anzulegen war ein Kinderspiel und mit dem schwarzen Ding in meiner Hand war ihm alles andere egal. Problemlos sind wir rausgegangen, warteten auf Luigi, der schon mit seinem Gassi Geher hinterher eilte und trotteten den langen Spazierweg entlang.

Stolz auf mich, stolz auf Jerry mit seinem Kong in der Schnauze standen wir schließlich völlig erschöpft, aber glücklich vor der Arche. Zeit 'nach Hause' zu gehen. Zurück in den Zwinger, gleich gibt es Fresschen. Zurück in seine Verzweiflung, in der er jeden um seinen Kong anbellt. Und keiner reagiert. Das will Jeremy nicht. Er will den Kong nicht loslassen und legt sich trotzig hin. Als ich mich zu ihm setze, flüstere ich ihm zu: "Hast du ein Glück, dass ich mit dir nicht schimpfen kann."



März 2011 - Jeremy fand seine Patin, zu der er bald ziehen wird.
Sie


Jeden Tag warte ich auf sie. Meinen weißen Hintern setzte ich an der Mauer und warte ab. Warte, dass etwas passiert. Ich will sie sehen! Sie gibt meinem eingeschränkten Leben einen Sinn! Jeden Tag. Ich kann ihre Stimme nicht hören. Aber ich sehe ihre Liebe. Sehe sie jeden Tag. Wie schon lange nicht mehr. Ich möchte ihr danken. Möchte sie beschützen. Sie kommt doch jeden Tag. Jeden Tag, da warte ich. Ich sitze da und halte Ausschau. Nach ihr. Nur nach ihr. Da kommt sie! Oh, nein! Nur ein Mensch mit dunklem Haar! Meine Augen sind sehr gut. Doch ich kann nichts hören. Würde ich es können, ich würde sie unter Millionen erkennen. Ich würde sie immer erkennen. Will ich doch immer für sie da sein. Immer an ihrer Seite. Immer bei ihr.
Selbst da Menschen mich enttäuscht haben, ist sie einer von denen, die es verdienen. Ich würde mit ihr bis ans Ende der Welt gehen. Ihr mein Herz schenken. Ich habe es ihr bereits geschenkt. Und sie geht sorgsam damit um. Wie soll ich ohne sie sein? Nie und nimmer! Mein Herz macht einen Überschlag. Es schlägt für sie und alles, was sie mit mir macht. Sie lässt mir meine Eigenheiten. Sie lässt mich ich sein. Ihre Nähe macht mich high. Bitte nicht aufhören! Es fühlt sich nach Zuhause an. Ihr Schoss voller Geborgenheit. Wieso kann ich nicht mit ihr? Wieso kann ich nicht nach Hause?

Ihre Wärme, ihre Hände. Ich bin machtlos. Sehe immer nur Schlüssel und Gitter. Als hätte ich etwas verbrochen. Habe ich etwas falsch gemacht? Bitte nimm mich mit. Entführe mich aus dieser quälenden Einsamkeit. Mach mich zum Familienmitglied! Ich verspreche dir, ich mache alles, wirklich alles, was du willst! Mach mich zu deinem Ein-und-Alles! Ich bin bereit! Hol mich hier raus! Bin zwar kein Star, aber deine Augen lassen es mich glauben! Wir sind für einander bestimmt. Ich weiß es. Du weißt es. Sie wissen es alle! Und ich will den Tag erleben, an dem wir vereint durch diese Tore der Gefangenschaft schreiten!

Ich warte hier auf dich! Für immer! Bin dein! Hol mich hier raus!


Frühjahr/Sommer 2011 - Toto kommt
Pizza, Pasta und Toto


Diese Zeilen sind allen gewidmet, die unserem Toto geholfen haben und auch jenen, die den Antrieb haben, anderen Totos zu helfen.


“Romeo, oh, Romeo. Warum denn Romeo?...” Nein, diese Geschichte hier spielt nicht in Italien. Und auch sind die Protagonisten keine dramatisch überspitzten Liebesklaven. Aber ich bin natürlich auch nicht Shakespeare. Also machen wir einfach das Beste draus. Und da dies hier eine gute Geschichte werden soll, fangen wir mit einer typisch idyllischen Stress verseuchten Stadt als Auftakt an. Und nichts ist wohl typischer für solch ein beschäftigtest Städtchen, als ein bimmelndes IPhone. Ja, ich kenne Menschen, die über derlei Schnickschnack Herr sind. Eine mit Panik erfüllte Stimme – eine kleine Anmerkung: diese Stimme scheint am Telefon allgemein überschlagend panisch zu sein – schilderte neueste Ereignisse aus dem Tierschutzleben und hinterließ Fragen, wie auch angefangene Ideen. Zumindest das Letztere war nun schwer von Nöten, denn es gab da einen bedürftigen Italiener, dem die Deutschen an den Pelz wollten. Selbstverständlich spreche ich nun von keinem nahenden Europakrieg – selbst wenn Österreich mitmischte. Es befand sich alles noch im relativ unbeachteten Randgebiet der Kampfhunderettung. Ja. Unser vermeintlich deutscher Italiener war ein Bullterrier. Einer, der bereits in Italien in einem liebevoll eingerichteten Zwinger sein Dasein fristete und vor lauter Herzchen in den Augen und Null Verstand im Oberstübchen mit ins Ausland auswandern sollte. Goodbye, Deutschland! Ähm, Italien!

Die italienische Familie packte also ihre sieben Sachen und auch den Hund, richtete ihm in Deutschland mit mindestens genauso viel Liebe einen noch winzigeren Zwinger ein und lebte fort an glücklich. Bis das Amt läutete. Gemeinhin als überaus bürokratisch und gar nicht lustig sind die Deutschen ja schon bekannt. Und sie machten eben ernst. Hund muss weg, oder die Todesspritze. Ja, so macht man das nun mal mit Illegalen! Und vor allem mit solchen, die allen Schutzgesetzen zuwider in einem Käfig eingesperrt werden, sodass selbst die Muskulatur keinen Platz findet und weichen muss. Was also tun? Man stelle sich doch mal eine sich vor Panik überschlagende italienische Stimme vor. Selbstverständlich kommt man auf die einzig mögliche und rettende Idee als letztes. Und nein, wer nun aufatmet – es hieß nicht “Goodbye, Deutschland!”. Zumindest nicht für Totos Familie. Viel eher kontaktierte man das Ausland. Österreich war zu diesem Zeitpunkt in diesen Fragen ja quasi die Schweiz. Alles noch vollkommen idyllisch und nicht rassistisch. (Haha.) Und natürlich leitet man eine rettende Maßnahme erst ein, wenn die Galgenfrist gnadenlos ausgeschöpft ist. Was sonst? So kam es also zu einem Anruf auf einem IPhone irgendwo in der Steiermark.

Anschließend mussten viele aufreibende Telefonate geführt werden. Das trug natürlich nicht zur Entspanntheit der sowieso schon panischen Stimme bei. Es musste eine Unterkunft organisiert werden – die Ämter liefen währenddessen im fernen Deutschland Amok, dem Blutrausch nahe. Vermutlich wartete man sehnsüchtig darauf, jeden weiteren Tag, der dem Tode des Hundes noch im Weg stand, endlich aus dem Kalender streichen zu dürfen. Aber natürlich wollte man nicht als ********* der deutschen Nation dastehen und räumte den Ösis noch ein wenig Zeit ein. So kalkuliert, dass man eigentlich von Luftschlägen ausgehen konnte. Eine ganze wertvolle Woche für einen ganzen Zwinger. Noch nicht einmal Baumaterial war vorhanden – von Bauprofis ganz zu schweigen. Überlegungen, das SOS – do it yourself Team einzuladen, wurden in einigen Köpfen angelegt. Später einigte man sich dann aber doch auf realistische Baupläne auf dem Papier. Und dann waren wir also da. Im Burgenland. Ich aufgrund einiger Schwierigkeiten namens Arbeit einige Tage später, als die fleißigen Nicht-Bauprofis. Und was tut man denn in der Pampa – pardon, in der beeindruckenden grünen Natur, umgeben von Wiesen und Bäumen und nichts anderem als Wiesen und Bäumen – so ganz ohne Fernsehen und Internet, wenn man sich an seltsamen mechanischen Vorgängen mit der Gefahr des Verblitzen nicht beteiligen kann oder will? Richtig. Man führe sich ein Journal seiner Wahl zu und lasse die anderen mal machen. Kleine aber ungemein wichtige Anmerkung: Nein, es waren definitiv keine Frauen – oder Teenie Magazine!

Schließlich kam der Tag seiner Ankunft im Grünen. Die sonst immer so panische Stimme war um einige Oktaven gestresster, denn nichts war fertig. Und Toto war zu früh dran. So ein perfekter Start in das neue Leben zerrte also an den Nerven der Beteiligten – und die Beteiligten zerrten auch an den Nerven anderer Beteiligten. Und dann war er da. Vollkommen verschleimt, aber dennoch aufgeregt, wie ein kleines Kind zu Weihnachten. Toto war schon vor seinem Aufpäppeln ein beeindruckendes Tier. Damit mein zartes Seelchen keinen Genickbruch erlitt, wurde ich vorab telefonisch verständigt, dass unser Bär nicht dem gesundheitlichen Standard entsprach. Keine Mienen durften entgleisen, denn schließlich kamen die Italiener aus Deutschland angereist. Das mussten wir ihnen hoch anrechnen. Ohne große Gefühlsduselei, aber immer noch mit genügend Einfühlvermögen, spazierten Toto und ich von seiner ehemaligen Familie fort.

Eine kleine Ewigkeit später saßen wir zu dritt im Grünen auf einer Decke. Sein Zwinger war noch nicht ganz fertig – im Gegensatz zum Gemüt aller Anwesenden. Toto schaffte es durch wenige Pfotengriffe allerdings ganz gut, alle auf bessere Gedanken zu bringen. Man hat auf ihn in Englisch eingeredet – der liebenswürdige Italiener hatte aber noch nie davon gehört, dass Englisch eine Weltsprache sein sollte und beschäftigte sich lieber mit dem Besteigen der Decke, oder dem Leerfressen aller mitgebrachten Vorräte. Und als wir ihn dann in seiner neuen Hüte haben liegen sehen, wäre uns wohl allen ein Tränchen des Glücks entwichen, aber wir waren alle mannsgenug es einfach nur schön zu finden. Heute, etwa ein halbes Jahr später, hat Toto eine neue Familie gefunden. Der ursprüngliche Zwingerhund erobert die Großstadt. Ganz legal und ohne um sein Leben fürchten zu müssen.

Warum wir uns also Totos Geschichte angetan haben? Ich weiß nicht, wieso Du sie dir angetan hast, aber ich habe sie mir angetan, weil Toto ein unglaublich inspirierender Kerl ist. Er hat uns sehr klar verdeutlicht, dass ein bisschen Zusammenhalt genügt, um etwas zu bewegen. Es wurde zwar nicht sklavenmäßig eine Pyramide erbaut – unsere Männer würden nun protestieren – aber mit etwas Aufwand wurden mehrere kleine Welten verändert. Und am Ende konnten alle sagen: nun sind wir happy.
 
  • 28. März 2024
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Hi MonsterKitty ... hast du hier schon mal geguckt?
  • Gefällt
Reaktionen: Gefällt 25 Personen
#VerdientProvisionen | Als Amazon-Partner verdiene ich an qualifizierten Verkäufen.
Jeremy darf voraussichtlich im Mai bei seiner Patin einziehen :love:
 
danke für die schönen Erzählungen :love:

Und die Daumen sind gedrückt für Jeremy, dass er wirklich in sein eigenes Kong-Zuhause umziehen darf :)
 
Ich bin mir sicher das seine Patin ihn nehmen wird. :)

@Kitty: Schön in Worte gefasst, zumindest die gröbsten Ereignisse, von sehr Vielen. :) Auf noch viele Jahre, mit unseren Freunden. Egal ob zwei- oder vier- beinig.
 
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