E 605 nun auch in Deutschland verboten.

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Das Ende einer Killer-Karriere

Einer der letzten Oldies aus der Insektizidküche – E 605 ist
nun auch in Deutschland verboten


Von Wiebke Rögener

12.2.02

Einer der letzten Oldies aus der Insektizidküche – E 605 ist nun auch in Deutschland
verboten

Sie sind zum Töten gemacht. Biozide heißen die Substanzen, die ausdrücklich zu dem
Zweck hergestellt werden, unerwünschtes Leben zu beseitigen. Ob Wildkräuter auf dem
Acker oder Kakerlaken in der Backstube, Algen im Planschbecken oder Motten im
Kleiderschrank – für alle Plagen findet sich das passende Gift im Arsenal der
Chemieindustrie. Allein für den Pflanzenschutz sind in Deutschland 1066 Präparate mit
273 Wirkstoffen zugelassen. Auf einen Stoff müssen Gärtner und Bauern nun verzichten:
Parathion, besser bekannt als E605, wurde Anfang dieses Jahres aus dem Verkehr
gezogen.

Der Insektenvernichter schaffte es nicht in die „Liste zulässiger Wirkstoffe“ der
EU-Richtlinie über das Inverkehrbr ingen von Pflanzenschutzmitteln. Zu gefährlich für
Anwender und Umwelt, befand die zuständige Kommission der Europäischen Union im
Juli vergangenen Jahres. Seit Anfang Januar gilt das Verbot in Deutschland. Dem
Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum in Baden-Württemberg war das
drohende Verbot Anlass für einen fürsorglichen Hinweis an Gärtner und Landwirte. Es
riet noch im November 2001 dazu, das Pestizid rechtzeitig aufzubrauchen. Wer das Gift
noch rasch auf den Acker brachte, sparte Kosten. Denn nach dem Verbot ist es als
Sondermüll zu entsorgen.

Giftig für Schwiegermütter

Damit endet ein Kapitel in der Geschichte des Pflanzenschutzes – und im übrigen auch
eine Karriere in Gerichtsakten und Kriminalromanen. Denn die Giftwirkung von Parathion
beschränkt sich nicht nur auf Schildläuse oder Spinnmilben. Eine „hohe
Warmblütertoxizität“ bescheinigen Fachleute dem Stoff. Er vernichtet nicht nur
unwillkommene Krabbeltiere, sondern zeigt auch bei lästig gewordenen Ehemännern oder
Schwiegermüttern Wirkung. Nur fünf Tausendstel Gramm Gift pro Kilogramm
Körpergewicht setzen jedem Familienkrach ein Ende. Aufsehen erregte in den 50er-Jahren
der Prozess gegen eine Frau, die nicht nur zwei Angehörige mit der bitter schmeckenden
und lauchartig riechenden Flüssigkeit umbrachte, sondern auch noch eine Freundin samt
Hund. Die Häufung erregte Verdacht, die Mörderin wurde verurteilt. Seitdem gehört E605
zu den Giften, die jeder kennt: Populär bei Selbstmördern und bei
Lebensmittel-Erpressern, bei Leuten, die Nachbars Kläffer ruhig stellen wollten oder
gerne mal zum Taubenvergiften in den Park gingen.

Längst verboten ist das Mittel in vielen Ländern, etwa in Dänemark, Finnland, Irland und
Schweden. Von der Weltgesundheitsorganisation wird es als „extrem gefährlich“
eingestuft. Es wirkt schon beim Einatmen und wird leicht über die Haut aufgenommen. So
führt E605 auch unbeabsichtigt immer wieder zu Todesfällen, vor allem bei Landarbeitern.
Vor zwei Jahren starben in Peru 24 Kinder, deren Schulmilch mit E605 vergiftet war. Das
Mittel „Folidol“ war dort ohne ausreichende Warnhinweise als weißes Pulver verkauft
und offenbar mit Milchpulver verwechselt worden. Die Kinder starben an Atemlähmung –
ähnlich wie die zwölf Japaner, die 1995 in Tokio einem Anschlag mit dem Kampfstoff Sarin
in der U-Bahn zum Opfer fielen.

Die Ähnlichkeit ist keineswegs zufällig: Chemiewaffen wie Tabun und Sarin und das
Pflanzenschutzmittel Parathion stammen aus demselben Stall - den Labors der IG-Farben.
Sie haben denselben Vater, den Chemiker Gerhard Schrader, der dort als Laborleiter 1936
das Nervengas Tabun und 1944 das Insektizid Parathion entwickelte – und sie gehören
zur selben chemischen Familie, den Organophosphorverbindungen. Kein Wunder also,
dass sie auch dieselbe Wirkungsweise haben: Sie blockieren ein Enzym, das für die
Funktionsfähigkeit des Nervensystems unverzichtbar ist, die Acetylcholinesterase. Sie
sorgt dafür, dass ein Botenstoff des Nervensystems, das Acetylcholin, gespalten wird,
nachdem er seine Nachricht überbracht hat. Wird das Enzym durch Kampfgas oder
Insektizid an diesen Aufräumarbeiten gehindert, bleibt der Bote an seiner
Empfängeradresse hängen. Die weitere Nachrichtenübermittlung bricht zusammen.

„Mehr als zwei Drittel aller weltweit eingesetzten Insektizide setzen am Nervensystem an“,
erläutert der Gartenbau-Ingenieur Thomas Lohrer von der Fachhochschule
Weihenstephan. „Doch in Deutschland tragen jetzt von den rund 240 zugelassenen
Insektiziden nur noch fünf das Gefahrensymbol T+ für ,sehr giftig‘. Lediglich eines davon
wird als Spritzmittel in Gartenbau und Landwirtschaft verwendet, die anderen für die
Begasung im Vorratsschutz“.

Bis zuletzt im Angebot

Trotz aller Risiken: Bis zum Verbot aus Brüssel war Parathion in Deutschland unter den
Markennamen E605 forte, Ecombi und P-O-X noch für den Kampf gegen Kohlfliegen,
Erdraupen und andere saugende und beißende Insekten zugelassen. Damit war der Stoff
einer der letzten Oldies aus der Insektizidküche. Das etwa gleichzeitig entwickelte DDT
wurde bereits Anfang der 70er-Jahre in den meisten Ländern verboten. Lindan, das 1945
auf den Markt kam, ist in der EU seit Mitte vergangenen Jahres nicht mehr im
Pflanzenschutz zugelassen; weiterhin erlaubt ist es allerdings als Mittel gegen Kopfläuse.


Wie viel Parathion in Deutschland zuletzt noch verwendet wurde, möchte der Hersteller
Bayer nicht verraten. „Wir vertreiben es schon seit langem nicht mehr“, sagt
Firmensprecher Hermann-Josef Baaken zunächst und verweist auf das abgelaufene
Patent. Auf Nachfrage muss er allerdings einräumen: Bayer hatte den Stoff bis September
2001 im Angebot. Die Liste der von der Biologischen Bundesanstalt (BBA) zugelassenen
Pflanzenschutzmittel wies zuletzt drei Parathion-haltige Produkte aus, zwei davon aus dem
Hause Bayer. Zu den Absatzzahlen will der Firmen-Sprecher nichts Näheres mitteilen, sie
seien aber rückläufig gewesen. Für nahezu alleAnwendungsbereiche gibt es längst
Alternativen.

Härter als das Verbot der Insektizide aus der Mottenkiste scheint eine andere gesetzliche
Neuregelung Hersteller und Anwender zu treffen. Seit dem letzten Sommer gibt es für
Pflanzenschutzmittel die so genannte Indikationszulassung. Damit gilt die Lizenz zum
Töten nur noch für den jeweils genehmigten Zweck: Eine Substanz muss für bestimmte
Kulturen und Schädlinge untersucht werden und wird dann auch nur für diese
Anwendung zugelassen. „Doch bei vielen kleineren Einsatzbereichen lohnt es sich für die
Hersteller wirtschaftlich nicht, eigens Testreihen durchzuführen“, beklagt Bayer-Sprecher
Baaken. Daher nimmt er an, dass ein Drittel der Pestizide vom Markt verschwinden wird
und fürchtet: „Es werden sich erhebliche Lücken im Pflanzenschutz auftun.“

Alexandra Makulla, für Pflanzenschutz zuständige Sprecherin der BBA in Braunschweig,
glaubt nicht an solche „Horrorszenarien“. Denn was der Bayer- Mann verschweigt: Für
Kulturen mit geringen Absatzmengen – etwa Küchenkräuter – sieht das
Pflanzenschutzgesetz Ausnahmen vor. Pestizide, die für andere, größere Einsatzgebiete
erlaubt sind, können ohne weitere Tests eine Zulassung für „Kleinst-Kulturen“ erhalten.
Reduzieren könnte sich die Zahl der Mittel allerdings mit der noch laufenden
Überprüfung alter Substanzen durch die EU. Ob damit eine Trendwende in der
Landwirtschaft einhergehen wird, hängt laut Makulla auch vom Verhalten beim
Gemüsekauf ab: „Chemischer Pflanzenschutz ersetzt teure Handarbeit“, gibt sie zu
bedenken. „Wenn die Verbraucher weniger Pestizide wollen, werden sie höhere Preise
akzeptieren müssen.“


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