Der Düsseldorfer OSD prüft "rechtliche Kniffe" zur Hundehalter-Jagd

Andreas

Eine Stadt sieht rot
In neoliberalen Zeiten gelten Verbrechen als Standort-Nachteil. Deshalb fordert die “wehrhafte Ökonomie” Investitionen in Maßnahmen der Gefahren-Abwehr ein. Und wenn objektive Zahlen zur Begründung nicht hinreichen, muss eben das angeblich beeinträchtigte “subjektive Sicherheitsgefühl” herhalten. So hat Standort-Häuptling Joachim Erwin eine Debatte um Kriminalität losgetreten und die gewünschten Ergebnisse erzielt: mehr Polizei, mehr Ordnungs- und Service-Dienstlerlnnen und bald wahrscheinlich auch mehr Eingriffsrechte für sie.

“Ganoven trüben Düsseldorfs Image” überschrieb die “Rheinische Post” ihren Artikel zu einem vom Arbeitgeberverband in Auftrag gegebenen Städte-Ranking, bei der die Landeshauptstadt wegen angeblich zu hoher Kriminalität Tabellen-Plätze einbüßte. Die Kunde davon scheint bis nach Fernost vorgedrungen zu sein. Manager von japanischen Unternehmen, die sich in Düsseldorf ansiedeln wollten, fragten den OB angeblich besorgt: “Können wir Mitarbeiter in die Stadt schicken?” Die SPD folgte einer etwas anderen Standort-Logik. Für sie schadet weniger die Kriminalität selber als vielmehr das sensationsheischende Reden über sie dem Investitionsklima. In einem Ratsantrag forderte sie: “Die Sicherheit auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen muss in ein Marketing-Konzept einbezogen werden, um Düsseldorf als ungefährdeten Wirtschaftsstandort herauszustellen.”
Aber neoliberal ist nicht nur die Perspektive auf das Verbrechen, sondern auch die auf den Verbrecher. Der bei der CDU-Anhörung zum Thema als auswärtiger Einpeitscher der lokalen Debatte verpflichtete ehemalige Berliner Innensenator Eckhard Wertebach sieht den Kriminellen nach einem nüchternen Kosten/Nutzen-Kalkül handeln und Chancen und Risiken genau miteinander abwägen. Folglich muss man Wertebach zufolge nur die mit einer Straftat einhergehenden Risiken erhöhen, um ihre Zahl zu reduzieren. Abschreckung durch hohen Verfolgungsdruck und harte Strafen heißt also sein Gebot der Stunde. Einer entsprechend martialischen Sprache befleißigte sich Wertebach. Kriminelle bezeichnete er als “Feinde” der Gesellschaft und berichtete dann von seinem in Berlin erfolgreich geführten Krieg. Ein Blick in die Kriminalstatistik der hiesigen Polizei hingegen verriet ihm: “Verbrechen scheint sich in Düsseldorf mehr zu lohnen.”
Auch für Erwin spricht das Zahlenwerk eine deutliche Sprache. So klar ist diese allerdings gar nicht. Die Kriminalität insgesamt hat um 3,6 % zugenommen. Roheitsdelikte stiegen um 10 %, Körperverletzungen von 3.239 auf 3.718 Fälle. Durch einen Massenbetrug mit zahlreichen Geschädigten erhöhten sich die Fall-Zahlen bei den Vermögens- und Fälschungsdelikten von 2.662 auf 16.259. Dagegen reduzierten sich Diebstähle (-2,7 %), Raubüberfälle auf Wegen und Plätzen (- 5,4 %), gefährliche Körperverletzungen (- 8,2 %), Wohnungseinbrüche (- 16,5 %) und Auto-Knackereien (-5,1 %). Die Häufigkeitszahl der Straftaten bewegte sich im Rahmen vergleichbarer Großstädte. Die propagandistische Rede von der “Verbrechenshochburg” rechtfertigt die Statistik also nicht.
So sah Polizei-Präsident Michael Dybowski dann auch “keinen Anlass für Dramatisierungen”. Trotzdem betrachtete er die Zahl der Verbrechen als zu hoch und die der Polizei-BeamtInnen als zu niedrig, wollte aber auf seine Schrumpf-Truppe nichts kommen lassen. Als einen Erfolg strich er die Verdrängung der Drogenszene vom Hauptbahnhof heraus, betonte jedoch zugleich die Grenzen einer solchen Politik. “Wir können sie verdrängen von einem Ort zum anderen. Doch wir können nicht ihre Sucht verdrängen”, so Dybowski. Zur Eindämmung der Beschaffungskriminalität seien auch Therapie-Angebote nötig. “Hier ist sehr viel mehr machbar und notwendig”, sagte er und meinte wohl vor allem die Einrichtung von Fixerstuben. Von der Stadt zur Verfügung gestellte Räume für Drogenabhängige und womöglich zusätzlich noch Stoff vom Staat – Erwin fühlte sich bei dieser Aussicht an George Orwells dunkle Zukunftsvision “1984” erinnert. Er vermeinte sogar zu wissen, dass Fixerstuben die Gefahr für die Junkies noch erhöhen, weil sie sich dadurch in falscher Sicherheit wiegten. Die Bilanz einer solchen, von keinem Realitätssinn getrübten Drogen-Politik spricht Bände. In Düsseldorf stieg die Zahl der Drogentoten von elf im Jahr 2002 auf 22 im Jahr 2003.
Zum Schluss der Anhörung hatten die BürgerInnen das Wort. An die hundert waren erschienen – längst nicht so viele wie die CDU mit so einem populistischen Thema zu motivieren gehofft hatte. Anscheinend fühlten sich die Menschen durch den Abbau des Sozialstaates weit mehr in ihrem Sicherheitsgefühl beeinträchtigt als durch “Nepper, Schlepper, Bauernfänger”. Einige der zumeist älteren Semester taten sich aber doch durch kreative Vorschläge hervor. So plädierte ein Herr dafür, doch die Taxi-FahrerInnen zu HilfspolizistInnen zu machen und sie bei der Verbrechensjagd einzusetzen. Der Oberbürgermeister hörte sich Volkes Meinung nicht lange an. Er wollte den Polizeipräsidenten durch Wertebach öffentlichkeitswirksam in Bedrängnis bringen und erachtete die Mission als erfüllt an.
Zu diesem Prolog folgte mit der Ratssitzung dann wenig später der Hauptakt, zu dem die CDU ihre kriminalpolitischen Vorstellungen in Antragsform gegossen hatte. Ihr Fraktionsvorsitzender Dirk Elbers stellte das Horror-Szenario vor. Er und seine KollegInnen wollen das Polizei-Gesetz geändert sehen und nicht mehr nur die Gewährung von Sicherheit, sondern – wie früher – auch die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zum Zuständigkeitsbereich der WachtmeisterInnen erklären. Denn die christdemokratischen PolitikerInnen sind Anhänger der US-amerikanischen “Broken Windows”-Domino-Theorie, wonach schon die geringste ungeahndete Ordungswidrigkeit Kriminalität schwersten Kalibers nach sich ziehen kann. “Unordnung zieht Regelverstöße nach sich”, so Elbers. Darum hat die Stadt vor einiger Zeit den Ordnungs- und Servicedienst (OSD) aus der Taufe gehoben und ihm mit der Düsseldorfer Straßenordnung eine Geschäftsgrundlage gegeben. Dabei sind nach einer auch dem Rat bekannten Expertise zu einer wirkungsorientierten Kriminalprävention amerikanische Zustände in bundesdeutschen Großstädten nur punktuell beobachtbar, weshalb die WissenschaftlerInnen warnten: “Wo an sich ordentliche Verhältnisse herrschen, richtet sich das Streben nach größerer Ordnung leicht gegen sozial Schwache, Minderheiten und Randgruppen.” Und genau dagegen richtet sich die Arbeit des OSD auch vornehmlich. Die Betroffenen wissen sich allerdings zu wehren. Nach Auskunft des Obdachlosen-Magazins “fiftyfifty” sind bislang alle Prozesse “Obdachloser vs. OSD” zuungunsten Letzterer ausgegangen. Genau das wurmt jetzt die CDU. Sie möchte “hinreichendere Eingriffsmöglichkeiten für den OSD” und dafür die städtische Position in Widerspruchs- und Klage-Verfahren stärken. Dafür beabsichtigte sie, die Verwaltung zu beauftragen, die Straßenordnung mit der aktuellen Rechtssprechung abzugleichen und gegebenenfalls zu verändern. Das soll angeblich “ergebnis-offen” geschehen. Wenn sich also ein Hund juristisch beim besten Willen nicht an die Leine legen lässt, müsste der OSD künftig von der Jagd nach HundebesitzerInnen ablassen, aber die Verwaltung dürfte schon die entsprechenden rechtlichen Kniffe ausfindig machen. “Repression und Prävention” lautete das Motto des von Elbers vorgestellten Konzeptes. Zur Erläuterung der Präventionsseite zitierte er sogar den alten Leitspruch sozialliberaler Rechtsvorstellungen “die beste Kriminalpolitik ist eine gute Sozialpolitik”, um ihn aber sogleich wieder neoliberal zu neutralisieren: “Und die beste Sozialpolitik ist eine gute Wirtschaftspolitik.”
Dieses Programm gefiel auch dem Republikaner Jürgen Krüger. “Der Antrag geht in die richtige Richtung”, bekundete er. So richtig falsch fanden diese auch SPD und Grüne nicht. “Die Sicherheitslage ist angespannt”, lautete die Einschätzung der SozialdemokratInnen, weshalb sie der Aufstockung des OSD von 80 auf 120 MitarbeiterInnen zustimmten. Und die grüne Ratsfrau Antonia Frey lobte die kommunale Ordnungspolitik: “Wir begrüßen die Ansätze, die in Düsseldorf sind.” Peinlicherweise reklamierte jede Fraktion die Erfindung des OSD für sich. Nur über die Ausrichtung herrschte Uneinigkeit. Die CDU hätte gerne einen mit Waffen gehabt, die SPD ohne, und die Grünen einen etwas unordentlicheren und dafür mehr service-orientierten OSD – aber auch keinen “sozialen Kuscheldienst”, wie die Grüne Marion Enke klarstellte. Ihre Partei warnte allerdings davor, die Blauen zu einer Art Stadtpolizei zu machen, eine Absicht, an der das – zufälligerweise – gerade zur Ratssitzung fertiggestellte “Rathaus-Magazin” keinen Zweifel lässt, wenn es betont, die “Jung-Ordnungshüter” hätten “nahezu die gleichen Rechte wie die Polizei”. Zudem lehnten die Grünen die Verbrecher-Jagd per Video ab; Enke bezeichnete sie als “Schritt in den Überwachungsstaat”. “Mehr Prävention und weniger Repression” hieß ihr Motto.
Aber nur der PDS-Ratsherr Frank Laubenburg führte die Debatte nicht defensiv. Er lenkte das Augenmerk weg von den Bagatell-Delikten und hin zur prosperierenden White-Collar-Kriminalität. Die Bilanzfälschungen bei der Messe-Gesellschaft, Betrügereien im Rheinbahn-Vorstand, windige Kreditgeschäfte der Stadtsparkasse und die zahlreichen Steuerhinterziehungen nannte der Lokalpolitiker als Beispiele, nicht ohne süffisant auf den “Fall Erwin” anzuspielen. Anhand der im Reality-TV-Stil gehaltenen “OSD bei der Arbeit”-Reportage im “Rathaus-Magazin” mokierte er sich süffisant über den täglich wieder bei ausgeglichenem Punktestand beginnenden Verdrängungswettbewerb zwischen OSDlern und Drogenabhängigen, Skatern und anderen unerwünschten Personenkreisen. Den OSD schildert die Postille in leuchtenden Farben: “Als der OSD-Bus auf dem Fürstenplatz auftaucht, verschwinden dort gerade zwei Jugendliche in einem Toilettenhäuschen. Das weckt das Misstrauen der OSDler”, heißt es dort. Und fürwahr, sie hatten die richtige Nase: Drogenabhängige! Zugleich schritten die OrdnungsdienstlerInnen zur Tat: “Unter den Augen von zahlreichen Augenzeugen, meist Eltern spielender Kinder, die die Durchsuchung mit Genugtuung verfolgt hatten, schlichen die Jugendlichen von dannen. Einer war gerade aus dem Gefängnis entlassen worden.” Bis zum nächsten Tag, gleiche Zeit, gleicher Ort.
Woher Drogensüchtige oder StraftäterInnen kommen, wie ihre Karriere begann, fragte bei der Ratssitzung niemand. Sie sind nun einmal da und müssen weg. Damit dieses Wegräumen in Zukunft noch effektiver vonstatten gehen kann, stimmten CDU, FDP und Republikaner für den Antrag, den OSD aufzustocken und ihm möglichst noch mehr Rechte zu verleihen. Und die Landesregierung bewilligte der Düsseldorfer Polizei eine Personal-Aufstockung. “Eine rabiate Kriminalpolitik statt Sozialpolitik” heißt es in Düsseldorf.
Jan

 
  • 19. April 2024
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