wolfdancer schrieb:
wie geht ihr (die betroffenen, sofern vorhanden) mit eurer krankeheit umquote
Wie ich mit meiner Erkrankung umgehe? Ich glaub, ich probier es mit der After-Eight-Mentalität ("Tun wir so, als ob wir es nicht gesehen hätte")
Im Alltag probier ich mich nicht darum zu kümmern. Dies geht aber auch nur dann, wenn mich die MS in Ruhe lässt (sie lässt mich jedoch einen Großteil der Zeit in Ruhe).
Schwierig waren und sind für mich die Phasen, in denen ich Angst davor habe, dass ein Schub kommt, wenn ich spüre, es könnte etwas im Anmarsch sein (ich kann es fühlen). Oder wenn ich in einer allgemeinen Depri-Stimmung mir sowieso alles schwarz in schwarz ausmale, dann seh ich mich halt auch im Rollstuhl oder noch schlimmeres.
Meistens geht dies aber nach einer Weile (ein bis zwei Stunden) wieder von allein.
Schwierig finde ich es nur für meinen Mann. Er macht sich manchmal Sorgen, mehr Sorgen um mich, als ich es tue... Aber für ihn ist es auch schwieriger, da er nur "außen" sieht und nicht fühlen kann, was ich fühle, bzw. wie ich mich fühle.
Hmmm, falls jemand meint, das klingt alles ziemlich cool und abgeklärt. Hier die Erklärung: ich hab die Diagnose vor 16 Jahren bekommen. Und bis jetzt verdammtes Glück gehabt: alle Schübe haben kaum "Schäden" hinterlassen. Okay, ich kann nicht mehr Klavierspielen - aber das ist kein echter Verlust für die Menschheit. Und ich kann auch ohne dies leben.
wie kriegt ihr den alltag geregelt?
Wie ich den Alltag geregelt bekomme? Eigentlich ganz normal.... Da die MS wenig Auswirkungen bis jetzt hatte. Wenn ich einen Schub habe und dann auch extrem müde bin, dann gibt es halt keinen "Alltag", dann ist dies eine Ausnahmesituation, die auch nach anderen Lösungen ruft.
Ich hab halt das Glück, dass wir finanziell es uns erlauben könnten, jede Menge Hilfe zu holen - z. B. einen Dogsitter für die Zeit. Außerdem gibt es Freunde und Bekannte, die einspringen würden.
Momentan merk ich halt, dass ich einfach weniger Kraft und Energie hab als noch vor 2 oder 3 Jahren. Und ich mag es einfach nicht auf's Alter schieben (sooo alt fühl ich mich noch nicht).
Mein Mann und ich haben daraufhin beschlossen, dass wir eine Putzhilfe einmal wöchentlich haben. Und dies nimmt mir viel Druck.. Aber ich weiß es zu schätzen, wie priviligiert wir sind, dass wir uns diese Erleichterung leisten können.
könnt ihr "normal" arbeiten?
Ich arbeite schon seit Jahren von zuhause aus... Und damit kann ich normal arbeiten. Meine "Karriere-Planung" allerdings hat sich verändert. Mein Ehrgeiz liegt jetzt darin, solange wie möglich mein Leben zu meistern, nicht mehr darin, beruflich so erfolgreich wie möglich zu sein.
was hat sich alles verändert?
Was sich alles verändert hat? Nee, ganz Menge. Oder vielleicht doch nicht so viel?
Mal sehen, wie ich das in Worte gepackt bekomme.
Zuerst einmal bin ich ungeduldiger geworden (zumindest war es so, als die Diagnose noch relativ jung war). Ich hatte das Gefühl, nicht mehr so viel Zeit zu haben. Und diese Zeit wollte ich nutzen. Ich wollte alles noch mal erleben, was ich mir mit 25 Jahren gewünscht hatte: ich hab wieder angefangen zu reiten, ich hab Fallschirmspringen gelernt, ich hab meine S.exuellen Wünsche ausgelebt, ich wollte "noch" reisen...
"Ich will alles, ich will alles - und das sofort!
Das war lange Zeit mein Lebensmotto. Ich drehte immer schneller, weil ich Angst hatte, ich hätte nicht mehr genügend Zeit, um so viel von der Welt zu sehen, wie ich es mir in jüngeren Tagen gewünscht hatte. Es gab sogar 'ne Liste, nein, es gibt sie immer noch.... Von der Liste hab ich vieles abgehakt, ein paar Wünsche noch nicht. Aber die kommen auch noch dran.
Das entscheidendste, was sich geändert hat, ist meine Ausbildung: ich hab gemerkt, dass meine Prüfungsangst mich immer wieder in MS-Schübe hineingetrieben hat. Und da hab ich dann mein Studium beendet, ohne es abgeschlossen zu haben. Außerdem hatte mich die Diagnose schon fast ein Jahr lang wirklich aus der Bahn geworfen...
Danach hab ich dann eine kaufmännische Ausbildung begonnen und auch abgeschlossen. Und diesen Beruf mag/mochte ich sehr...
wie habt ihr eure zukunft der krankheit angepasst?
Nun - einen Stachel, einen wirklichen "Verlust" gibt es für mich: ich hab mich bewusst dagegen entschieden, Kinder zu bekommen. Als mir die Diagnose MS gestellt wurde, galt es, dass man eine durchschnittliche Lebenserwartung von "Erstdiagnose + 25 Jahre" hatte. Wenn dies auch für mich gilt, dann ist jetzt mein letztes Lebensjahrzehnt angebrochen (glaub ich nicht, dazu geht es mir viel zu gut)
Aber ich hätte es unverantwortlich gefunden, ein Kind in die Welt zu setzen, mit dem Wissen, dass es vielleicht ohne Mutter aufwachsen muss, weil sie so früh stirbt. Stimmt, andere Mütter könnten auch durch einen Unfall o.ä. sterben. Aber ich hätte dies Risiko für das Kind bewusst in Kauf genommen - und das hätte ich egoistisch gefunden...
Also - kein Kind. Und gerade jetzt, wo ich das Gefühl hab, ich hätte jede Menge Liebe, Geduld und auch die Fähigkeit, ein Kind auf dem Weg ins Leben zu begleiten, fällt es mir manchmal schwer, andere Mütter mit kleinen Kindern zu sehen. Dann muss ich wirklich meinen Kopf einschalten und mir noch mal den Grund ins Gedächtnis zurückrufen, warum ich bewusst "nein" gesagt hab. Vor zwei Wochen haben mein Bruder und seine Frau Zwillinge bekommen - ich hab mich sehr darüber gefreut, auch wenn die Freude nicht ungetrübt war (ich musste aber 'ne längere Strecke fahren und konnte dort ungestört heulen..)
Achja, eines gibt es noch: es fällt mir unendlich schwer, an mein Rentenalter zu denken. Und dafür 'ne Vorsorge zu treffen. Insgeheim befürchte ich schon, dass ich so alt nicht werde.
Lange Reder, kurzer Sinn:
Ja, man kann mit einer chronischen Erkrankung, die unheilbar ist, gut leben - vielleicht sogar besser als vorher, denn ich genieße das Leben bewusst und auch reflektierter.
Christine