Biochemiker führt Haustierhalter auf der ganzen Welt an der Nase herum

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Voodoo für Hund und Hirn

Haben Tiere einen siebten Sinn? Auch ein Doktorhut aus Cambridge schützt nicht immer vor Unsinn

Von Matthias Glaubrecht

Haben Tiere, allem voran unsere Haustiere, einen siebten Sinn? Wie erklärt es sich sonst, dass die Katze weiß, wann Herrchen nach Hause kommt? Warum beginnen Hunde bereits aufs Frauchen zu warten, wenn das doch erst von der Arbeit aufbricht? Warum springt die Katze der Familie eines Professors aus Berkeley immer nur dann zum Telefon, um die Pfote auf den Hörer zu legen, wenn er selbst zu Hause anruft?

Und auch das wurde berichtet: Am 17. Oktober 1989 lief das Tier einer kalifornischen Katzenbesitzerin aus Santa Cruz verschreckt auf den Dachboden, von wo es nicht mehr herunterzubekommen war; drei Stunden später ereignete sich ein schweres Erdbeben, das das Stadt-zentrum verwüstete.

Szenen und Phänomene wie diese kennen Haustierhalter rund um den Globus millionenfach. Da wandern Katzen auf der Suche nach ihrem Herrchen quer durch ein ihnen unbekanntes Terrain, oder Hühner und Hunde spielen vor einem Erdbeben oder Sturm verrückt. Was vielen nur eine Anekdote wert ist, anderen wie Voodoo vorkommt, vermarktet einer gekonnt als animalischen siebten Sinn, der uns abgeht. Tiere haben telepathische Fähigkeiten, behauptet der englische Biochemiker Rupert Sheldrake, und führt damit Haustierhalter auf der ganzen Welt an der Nase herum.

Jahrelang hat er unter anderem auf seiner Internet-Seite (www.sheldrake. org) mehr oder weniger mysteriöse Tiergeschichten und -beobachtungen (Fallbeispiele, als die sie Shedrake ansieht) gesammelt, um sie in einem unlängst auch auf Deutsch erschienenen Buch Der siebte Sinn der Tiere zusammenzustellen. Sheldrake sucht nach Aspekten tierischen Verhaltens, die auf die Existenz von Formen des Wahrnehmungsvermögens hinweisen, "welche über das heutige wissenschaftliche Verständnis hinausgehen", erklärt er vielsagend - und meint doch nur sein eigenes Unverständnis.

Irgendwie, so glaubt Sheldrake, hätten telepathische Tiere - solche mit einem eigenartigen Ferngefühl also - die Fähigkeit, Gefühle und Gedanken ihrer Halter zu registrieren, oder Dinge zu spüren, die noch gar nicht passiert sind.

Szenenwechsel: Der "kluge Hans" war wahrlich ein Wundertier. Das 1904 in Berlin berühmt gewordene Pferd konnte - so glaubten viele - rechnen. Tatsächlich stellte sich bei genauerer Untersuchung eine spezielle Begabung des Pferdes heraus. Hans nahm nämlich beim angeblichen Rechnen selbst kleinste Körperbewegungen der Zuschauer und seines Besitzers und Trainers Wilhelm von Osten wahr, sobald die Zahl seiner Hufschläge den richtigen Wert erreicht hatte. Kannten die anwesenden Menschen die Lösung nicht, versagte das "Wunderpferd".

Auf ähnlich profane Weise lassen sich auch die angeblich übersinnlichen Fähigkeiten unserer Haustiere entzaubern, die schlicht hervorragende Beobachter sind. Viele unserer eigenen Signale, die wir senden, sind uns einfach nicht bewusst. Vor allem Katzen verfolgen unsere Handlungen außerordentlich genau. Sie nehmen ebenso wie Hunde bereits geringste Abweichungen von der täglichen Routine ihrer menschlichen Halter wahr und reagieren entsprechend.

So bedarf es keineswegs hellseherischer Fähigkeiten, wenn Haustiere etwa vor Reisen oder Trennungen auf ihre Weise verhaltensauffällig werden. Hunde wie Katzen besitzen zudem eine sehr genaue innere Uhr; haben sie einen bestimmten Rhythmus herausgefunden, stellen sie sich vielfach vorab darauf ein. Und in vielen anderen Fällen verknüpfen die Halter ein Ereignis - etwa, dass ihr Haustier sich auffällig verhielt - mit einem zweiten, das sich kurz darauf abspielt.

"In Irrtum verfallen, beschieden ist's allen; in Irrtum verharren, ist Vorrecht der Narren", wusste bereits Cicero. In diesem Sinne ist Rupert Sheldrake, Jahrgang 1942 und von der renommierten Universität in Cambridge mit einem Doktor in Biochemie dekoriert, ein Narr - und lebt gut damit. Nicht zuletzt aber lebt er vom zweifelhaften Ruhm, den ihm 1981 der Verriss seines Erstlingswerks im britischen Wissenschaftsmagazin Nature einbrachte. Dessen ehemaliger Herausgeber John Maddox bezeichnet Sheldrakes Schriften, darunter auch Das Gedächtnis der Natur (1990 auf Deutsch im Scherz-Verlag erschienen), als buchgewordenen Beleg intellektueller Verirrung. Und Sheldrake glaubt weiterhin an so genannte "morphogenetische Felder", die Form und Gestalt aller unbelebten wie belebten Dinge - vom Kristall bis zum Kaninchen - bestimmen.

Die Idee solcher morphischer Felder ist eine Anleihe bei der klassischen Embryologie, die tatsächlich nachweisen konnte, dass Stoffgradienten - etwa die Proteinprodukte der Hox-Gene - in den Zellen von Lebewesen die Entwicklung von Organen steuern. So richtig diese Beobachtung für die Entwicklungsbiologie ist, so zweifelhaft ist Sheldrakes Übertragung morphogenetischer Felder als universeller Faktor - jetzt gar zur Erklärung anekdotenhaft kolportierten Tierverhaltens. Nirgends sonst ließen sich indes bislang Hinweise auf deren Existenz finden. Daher werden Sheldrakes angeblich revolutionäre Thesen auch keineswegs weltweit von der Wissenschaft diskutiert, wie der Scherz-Verlag allen Ernstes behauptet.

Mehr noch: Sheldrake entzieht seine Idee bislang jedem Versuch einer Beweisführung im Rahmen konventioneller naturwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden, von denen er konsequenterweise auch wenig hält. Der etablierten Forschung wirft der Biochemiker vor, sie betrachte Tiere ausschließlich als seelenlose Automaten und berücksichtige nicht die persönlichen Erfahrungen, wie sie beispielsweise zahllose Haustierbesitzer machten.

Sheldrake vermengt die ausschweifenden Berichte über freudig schwanzwedelnde Hunde und pfadfindende Katzen mit wahllos herbeizitierten Forschungsbefunden, etwa über den tatsächlich nachweisbaren Orientierungssinn von Zug******. Dieser spezielle Sinn aber grenzt allenfalls nach Sheldrakes Meinung an Wunder, da er nichts von Evolutionsbiologie wissen will.

Dabei lassen sich die vermeintlich übersinnlichen Leistungen von Tieren mit deren evolutionär entstandenen und höchst zweckvollen Sinnesleistungen erklären. Bestimmte zeitliche Rhythmen, aber auch Geräusche, Feuer und Beben werden von ihnen viel früher wahrgenommen als von ihren Besitzern, die dann ebenso bass erstaunt sind über die "Klugheit" ihrer Zöglinge wie einst die Zuschauer über ein zählendes Pferd.

Dem Erfolg von Sheldrak haben Verrisse nie geschadet, sein Beharren eher bestärkt. So wird nun also Hunde- und Katzenbesitzern die Idee "morphischer Felder" näher gebracht und dazu werden Telepathie und Vorahnungen bei Hund und Katze bemüht, um zu erklären, warum diese lang vor der Ankunft am Gartentor aufs Herrchen warten oder sich unauffindbar verstecken, wenn sie zum Tierarzt sollen. Sheldrake unterstellt Haustieren ein unvorstellbares Gespür für Dinge, die noch gar nicht passiert sind. Für ihn sind sie nicht bloß knuddelig oder lustig; er glaubt "sie können auch dazu beitragen, unser Verständnis vom Leben zu erweitern".

Wohl kaum. Was sollen Biologen ausgerechnet von jenem knappen Dutzend erst kürzlich und eher zufällig vom Homo sapiens domestizierter Spezies lernen, was sie nicht allenthalben bei der in Äonen entstandenen abermillionenfachen Artenvielfalt in der Natur finden? Telepathie als Mittel der Kommunikation bei Tieren ließ sich dabei bislang mit den verfügbaren wissenschaftlichen Methoden nicht belegen. Das macht nicht zwangsläufig besagte Methoden unzureichend, sondern eher Sheldrakes Idee zum Unsinn. Der jedoch misstraut der Forschung derart, dass er lieber auf seine unorthodoxe Spekulation morphischer Felder zurückfällt. Andererseits läuft er offene Türen ein, wenn er behauptet, dass Tiere Fähigkeiten besitzen, die wir verloren oder nie besessen haben.

Das aber ist simpel: Verglichen mit Tieren sind wir vielfach einfach nur tumbe Sinneswesen. Wir haben keinen Sinn für das Erdmagnetfeld, weil unsere Ahnen zur Orientierung im Gegensatz zu Zug****** und Meeresschildkröten auch ohne dies überlebten. Weder lassen sich mit Sheldrakes verquerer Argumentationskette telepathische Fähigkeiten bei Tieren noch die Existenz morphischer Felder in der Natur belegen. Stattdessen empfiehlt sich ein Ticket für David Copperfields magische Show oder alternativ die Teilnahme an einem Voodoo-Kurs; über Sinneswahrnehmung bei Tier und Mensch erfährt man dort sicher mehr - vor allem auf unterhaltsamere Art.


saludos la loca

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a dogs life...
is not only for christmas.
 
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