Entschuldige, aber das finde ich einigermaßen weit hergeholt. Zu der Esskultur meiner Heimat gehören eine ganze Reihe fleischloser Gerichte. Und da ich ein Kind der Nachkriegszeit bin, noch dazu aus einer Arbeiterfamilie, bin ich überwiegend mit solchen aufgewachsen. Fleisch gab's bei uns eher sonntags. Wenn ich diese eine Komponente jetzt weglasse, entfremde ich mich? Sag, dass das nicht dein Ernst ist.
Es ist ja auch nicht normal, oder gut, wie wir heute Fleisch essen. Nämlich täglich und in rauhen Mengen. Das ist ebenso eine "Entfremdung" von gesunder und normaler Ernährung.
Und damit auch von der Gesellschaft? DAS kann jetzt wirklich nicht dein Ernst sein. Wer nicht alles mitmacht und alles schluckt, was gängig und üblich ist, wird zum entfremdeten Außenseiter? So konformistisch denkst du doch nicht wirklich!
Aber um die Behauptung mal ernst zu nehmen:
Was ist dann mit Leuten, die zwar Fleisch und Wurst, aber dafür manche andere Dinge nicht essen, die zu den heimatlichen Ernährungs"standards" gehören?
Ich kenne Leute, die essen keine Zwiebeln, oder keine Gurken, keine Tomaten, keine roten Bete, oder trinken keine Milch, um nur mal das zu nennen, was mir spontan einfällt. Alles entfremdete Außenseiter?
Und wenn ich z.B. mediterran oder asiatisch koche anstatt bodenständig "heimatllich", bin ich dann auch von der Esskultur meiner Heimat entfremdet? Wenn ja, mehr oder weniger als beim Verzicht auf Fleisch?
Der Vergleich wäre korrekt, wenn Du sagen würdest "Was ist mit denen die gar kein Gemüse essen?" . Nur eine Art der Zubereitung von Fleisch wegzulassen, oder nicht jedes Fleisch zu essen/zu mögen ist doch völlig normal. Genauso wie bestimmte Gemüse- und Obstsorten nicht zu essen. Aber GAR kein Obst/Gemüse oder eben Fleisch zu essen, ist eine andere Hausnummer. Genauso wie wenn ein Europäer plötzlich NUR noch japanisch kochen/essen würde. Ja, das fände ich eine Entfremdung. Steht ja jedem frei das zu tun, aber merkwürdig wäre es doch.
Artgerechte Ernährung? Ich habe weder ein Fleischfressergebiss noch einen Fleischfresserdarm. Ebenso geht es m.W. allen Menschen. Der Mensch kann als Allesfresser Fleisch essen, er muss es nicht. Er kann sich gut fleischlos ernähren. Insbesondere wenn er, wie wir hier, keinen Mangel an allen übrigen Nahrungsmitteln leidet und aus dem Vollen schöpfen kann. Und das weißt du auch.
"Aus dem vollem" schöpfen Vegetarier/Verganer meist nur durch Importwaren. Aus regionalen Produkten würde das schöpfen schon sehr viel schwieriger, wenn ich eine Nahrungsgruppe auch noch komplett ausklammere (Fleisch). Ob ein Mensch sich gut fleischlos ernähren kann, ist wieder Ansichtssache. Er kann sich ernähren, ja.
Aber auch wenn wir und dabei auf Wild beschränken, bin ich wohl von Haus aus entfremdet, denn von Kindesbeinen an, auch als ich noch Fleisch, und gerne auch Wild, gegessen habe, war meine natürliche Reaktion auf den Anblick von Wildtieren nie im geringsten mit Nahrung assoziiert.
Ja, weil auch nicht alle Fleischesser wissen was essbar ist und wo es herkommt. Ich denke bei Wildtieren auch nicht NUR ans essen, aber ich tue es.
Ein Tier ist für mich zunächst mal ein Lebewesen und keine potenzielle Nahrung. Und müsste ich es selbst töten, also vom Lebewesen zum Fleisch machen, hätte ich im Leben keinen Bissen Fleisch gegessen. So "unverkrampft" war ich nie, dass ich das gekonnt hätte.
Und könnte man da nicht sogar sagen, dass es mir dann gar nicht zusteht, Fleisch zu essen, wenn ich es nur kann, weil andere die Dreckarbeit für mich machen?
Ja, könnte man. In gewissen Maßen tue ich das auch. Wenn Leute sagen sie könnten (moralisch) NIEEEE ein Tier töten, das arme, dann sollten sie tatsächlich lieber kein Fleisch essen.
Zu deinem letzten Abschnitt, dass sich Leute, die kein Fleisch essen, deiner Meinung nach weniger Gedanken über die Herkunft ihrer Lebensmittel machen - wie du schon sagst: deine Meinung halt. Ich finde es umgekehrt wahrscheinlicher. Weil bei den meisten Leuten der Entscheidung gegen Fleisch eben eine gedankliche Auseinandersetzung mit ihrer Ernährung ja zu Grunde liegt, würde ich eher vermuten, dass diese Leute sich mehr, und nicht weniger mit dem Thema befassen als der durchschnittliche Supermarktfleischkäufer.