Selbst wenn man Süchte als Krankheit sieht, und ja, da stehen sie unter psychischen Krankheiten, heißt das noch lange nicht, dass eine psychische Erkrankung Voraussetzung für Suchterkrankungen ist. Weil Lungenkrebs eine Krebserkrankung ist, ist eine Krebserkrankung noch lange keine Voraussetzung um Lungenkrebs zu BEKOMMEN. Selten so eine verquere Argumentation gesehen.
Wenn man das schon so zerlegen will, muss man sicher nochmal zwischen körperlicher und psychischer Abhängigkeit unterscheiden. Es gibt Raucher, die mit Nikotinpflastern sofort aufhören können zu rauchen, aber bei sehr vielen sind eben vor allem die Rituale, das Hände beschäftigen und der soziale Aspekt im Vordergrund.
Für eine körperliche Abhängigkeit braucht es je nach Substanz bestimmt keine Willensschwäche oder psychische Vorerkrankung oder Veranlagung. Die kommt einfach, beim einen schneller, beim anderen langsamer, die Toleranz wird höher, es wird mehr konsumiert. Bei harten Drogen (und/oder Prädisposition zB durch Drogenkonsum in der Schwangerschaft) ist man mitunter schon nach einmaligem Konsum körperlich abhängig, auch wenn es für eine psychische Abhängigkeit noch lange nicht reicht.
Letztere kommt dann halt über die Zeit dazu (bzw steht bei manchen Süchten wie der genannten Magersucht etc generell im Vordergrund). Da spielen psychische Vorerkrankungen denke ich durchaus eine Rolle... Aber Voraussetzung sind die mit Sicherheit nicht.
Von der körperlichen Abhängigkeit loszukommen geht relativ schnell je nach Suchtgift, auch wenn das ohne Hilfe und mitunter Medikation sicher sehr schwer ist.
Das große Problem ist halt, dass beides zusammenkommt und ohne Hilfe "einfach so" aufhören ist halt meistens einfach nicht.
Bei Magersucht und Co von selbst schuld zu reden ist sicher Blödsinn. Bei den meisten anderen Süchten würde ich aber auch nicht selbst schuld sagen. Klar, die klassischen, Rauchen, Alkohol, Drogen, sicher, man kennt die Risiken. Erstere beide sind halt einfach gesellschaftlich so etabliert, dass man imo keinem Kind (und ja, auch Jugendliche sind in dem Fall Kinder) einen Vorwurf machen kann, wenn es das ausprobiert. Es wird einerseits als normal vorgelebt, andererseits ist es durch Regeln und Kontrollen eingeschränkt und nur Erwachsene dürfen es. Da kann man sich nun echt nicht wundern, dass Kind das ausprobieren will, weil man ist ja hipp und cool und erwachsen. Und dass viele damit immer weiter machen ist auch kein Wunder. Ist ja normal bei uns. Bei richtigen Drogen reicht halt mitunter "einmal probieren", dass man ein Problem hat.
Ich persönlich kann nur von SVV reden, ich habe nie geraucht und trinke fast keinen Alkohol. Ja, sehe ich durchaus auch als Sucht. Ich konnte weder einfach aufhören noch ohne funktionieren. Ich brauchte immer mehr. Als ich damit aufgehört habe, habe ich Tage gezählt und bin anfangs immer wieder rückfällig geworden. Auch jetzt noch, nach Jahren, ist das mein erster Impuls in manchen Situationen. Natürlich kann man sagen, selber schuld, hat dich ja niemand gezwungen das erste Mal die Rasierklinge anzusetzen. Stimmt. Das hat sich halt so ergeben. Nicht aus einem Wunsch nach Aufmerksamkeit, was einem in der Situation ja gerne mal vorgeworfen wird, ich habe immer mein Bestes getan das zu verstecken. Es war eine Situation, in der es "geholfen" hat und das hat gereicht.
Ist vielleicht ein schlechtes Beispiel, weil es natürlich keine körperliche Abhängigkeit gibt UND es in dem Fall natürlich eine psychische Vorerkrankung gibt. Aber was ich damit eigentlich sagen will, manchmal kommt es einfach blöd. Das war keine aktive Entscheidung mit Abwägung aller Alternativen, soll ich oder soll ich nicht. Ich habs angefangen und konnte dann nicht mehr aufhören. Je nach Abhängigkeit kann EINE falsche Entscheidung reichen. Da zu sagen "selbst schuld" ist schon heftig, man wünscht doch niemandem, dass eine Fehlentscheidung potentiell das Leben zerstört.
Auch wenn zB unter Alkoholikern üblicherweise vor allem die Familie/Kinder leiden, die tun mir ebenfalls im konkreten Einzelfall nochmal deutlich mehr Leid, das hat niemand verdient und die haben ja nur überhaupt keinen Ausweg. Aber die Abhängigen haben es, zumindest in meinen Augen, auch nicht verdient.