Hmmh, ich stehe ja mit Crabat sozusagen in der "Es muss einfach, es muss..."-Ecke...
Und werde mich jetzt, fußend auf persönlichen, damit natürlich subjektiven und begrenzten Erfahrungen, trotzdem an eine Antwort versuchen.
Und möchte vorab sagen, dass ich vor bestimmten Problemen keine
Angst habe - aber schon ziemlich sicher bin, dass sie eintreten werden.
Ich habe im Laufe der Jahre mit einigen Kollegen aus dem arabischen Raum zusammengearbeitet, die teils für eine Weile auf Zeit zu Gast bei uns waren, um hier an bestimmten Gemeinschaftsprojekten zu arbeiten und teils für längere Zeit hierhergekommen sind. Leute, Alter, Religiosität - waren völlig unterschiedlich ausgeprägt.
Das reichte vom gesetzten saudischen Professor (der sich hier bestimmte Arbeitstechniken von deutschen (und damit fast überwiegend weiblichen) MTAs und Studentinnen erklären lassen musste) über die moderne, aufgeklärte ägyptische Wissenschaftlerin bis zur Doktorandin aus Syrien, die zwar ein Stipendium in D gewonnen hatte, aber nicht ohne ihren Mann das Land verlassen durfte. In anderen Worten: Damit sie es annehmen konnte, musste er sich beurlauben lassen und seine Karriere auf Eis legen und es ihr erlauben. (Merke an: beide waren konservativ und sehr religiös, aber er hat's gemacht.)
Dazu kam dann noch recht umfangreiche Arbeit mit damaligen Quasi-Flüchtlingen aus der Westbank (Palästina), die wir dabei unterstützt haben, mit ihren zwei schwer kranken Kindern als humanitärer Notfall nach Deutschland zu kommen (wo schon Verwandte lebten).
Das macht mich nicht zum Islam-Experten - nichtmal zum "Kenner", den ich kannte diese Leute alle ausschließlich auf einer Alltags-, Arbeits- und Kollegenebene, wie andere Kollegen eben auch - man ist ja selten mit allen, mit denen man arbeitet, richtig eng befreundet. Also, ich jedenfalls nicht. (Mit Ausnahme der oben geschilderten Familie)
Aber es hat mich - um endlich mal auf den Punkt zu kommen - zu der Überzeugung gebracht, dass es tatsächlich mit Sicherheit unter den vielen Flüchtlingen aus dieser Region einige geben wird, die sich trotz aller erdenklicher Hilfe, trotz der jubelnden klatschenden Leute am Bahnhof, auch unter den bestmöglichen Voraussetzungen (Sprachkenntnisse, Zugang zum Arbeitsmarkt, vielfältige und verständnisvolle, also nicht nur gut gemeinte Versuche der Integration in den Kollegenkreis) hier unwillkommen und "immer fremd" fühlen werden.
Edit: und das vielleicht sogar so fremd, dass die anfängliche Freude über die Aufnahme hier in Hass und Wut umschlägt. Vielleicht Kriminalität, und vielleicht Terrorismus. Nicht immer, nicht ständig, vielleicht (wahrscheinlich!!!( nichtmal bei einem irgendwie nennenswerten Anteil. Passieren wird es aber dennoch mit einiger Wahrscheinlichkeit.
Nicht, weil die Leute irgendjemand hier absichtlich ungastlich aufnimmt, sondern weil das Leben hier als solches für sie im wahrsten Sinne des Wortes "befremdlich" ist und immer ein Stück bleiben wird.
Weil es anders ist, und zwar in einigen Bereichen fundamental und verunsichernd anders.
Ein Beispiel dafür wäre z.B. der Umstand, dass hier viele eigentlich ganz nette, "unverderbt" scheinende Leute, die gar nicht wie "böse Menschen" (so im Kindergartensinn gedacht) wirken, heiter und friedlich und ohne jedes schlechte Gewissen des Abends beim Essen Alkohol trinken - der meine syrische Kollegin tief verstört hat. Der nächste Schock kam dann, als sie bemerkte, dass außerdem auch viele Gerichte, speziell Kuchen und Desserts, Alkohol enthalten (was damals noch nicht immer angegeben war) - da bekam sie bei Weihnachtsessen im Restaurant mit vorbestelltem Menü einen halben Nervenzusammenbruch, weil sie plötzlich das Gefühl hatte, gar nichts mehr essen zu können, es könnte ja überall ein schrecklicher Fehltritt lauern.
Über die geistigen Klimmzüge, die der Mensch aus Saudi-Arabien nach dem ersten Kulturschock unternahm, um sein und das hiesige Weltbild übereinzubringen, hier nicht anzuecken und seine Arbeit zu machen und mit allen Kolleginnen genauso gut auszukommen wir mit den Kollegen, und doch an seinem "heimatlichen" Frauenbild (etwa dem seiner eigenen Gattin) nichts zu verändern, könnte ich noch mehr schreiben.
Weil aber schon in mündlichen Berichten die Leute oftmals nicht wussten, was sie damit anfangen sollten, und häufig nur in Stereotypen reagieren konnten ("Du bist ausländerfeindlich und machst Witze über jemanden, den du für kulturell unter dir stehend hältst!" / "Wie kannst du dich über den strengen Islam und seine Folgen auch noch amüsieren? - Da gibt es nichts zu verharmlosen, das ist immer ganz grausam, jeder, der dem zustimmt, unterdrückt Frauen und da macht man keine Witze drüber und so jemanden darf man auch nicht sympathisch finden!"), lasse ich das wohl besser bleiben. Fakt ist: Leicht war das für ihn nicht. Es war harte Arbeit. Und hat
alle Beteiligten ab und an Nerven gekostet.
Über die Vorstellungen der von uns betreuten Patienten über den Lebensstandard in Deutschland und über das, was deutsche Behörden leisten können und dürfen, hatte ich schon weiter vorn mal etwas berichtet - diese Erwartungen waren märchenhaft hoch und mussten dadurch zwangsläufig auch bei optimaler Betreuung (und die gab es) immer wieder enttäuscht werden. Was auf beiden Seiten zu Frust und weiteren Missverständnissen führte.
Alle drei geschilderten Konfliktsituationen basierten nicht darauf, dass die Leute so unterschiedlich von uns waren - die waren im Gegenteil im Grunde eigentlich genauso wie wir und wir hatten vieles gemeinsam. Aber unser jeweiliges
Wertesystem, das, was wir jeweils spontan für richtig, falsch oder gar "unverzeihlich" hielten, war verschieden.
Und das fühlte sich teils so fremd an, dass man nicht mehr wusste, wie man den anderen gerade finden soll - nett, wie vorher, oder irgendwie unseriös oder unmoralisch, sodass man sich spontan eigentlich lieber von ihm fernhalten sollte? Verachtenswert? Oder nur etwas spleenig? Freundlich oder aufdringlich oder zudringlich? Respektvoll, oder reserviert, oder gar herablassend und ablehnend?
(Und das galt übrigens für beide Seiten)
Für die Flüchtlinge kann genau ein solches Dilemma dazu führen, dass sie sich hier nie ganz aufgenommen fühlen. Nie richtig ankommen, weil sich in diesem Land immer zuviel falsch anführt.
Wie man als Betroffener reagiert, wenn es einem selbst so ergeht, ist ja auch wieder offen. Die syrische Kollegin reagierte mit einem Rückzug ins Private und die Diaspora... sie lernte hervorragend deutsch und das, was sie im Labor so können musste, war freundlich und höflich und blieb nach Feierabend mit Mann, später noch Kind und andere Syrern oder sonstigen arabischsprachigen Leuten unter sich. An Feiern etc. bei der Arbeit nahm sie nach dem ersten Schock glaube ich jahrelang nur noch das Nötigste wahr.
Der zweite Kollege trennte glaube ich am Ende strikt zwischen dem Leben hier (in dem er schließlich nach dem xten Aufenthalt sehr gut zurechtkam), wo es halt anders und exotisch zuging, und seinem
eigentlichen Leben
dort - wo er sich zuhause fühlte und für ihn die Dinge waren, wie sie sein sollten, und er zur Ruhe kommen und wieder er selbst sein konnte. Was aber in dem Moment, wo diese zwei Welten nicht mehr räumlich so stark voneinander getrennt sind wie in diesem Fall, etwa bei den Flüchtlingen, die ja nicht mehr "nach Hause"
können, zum Problem werden kann.
Alle diese Reaktionen sind menschlich und haben den Betroffenen geholfen, in einer kritischen Situation besser zurechtzukommen. Aber sie verhindern teilweise die Integration, und teilweise auch nur den Austausch und die Annäherung der beiden verschiedenen Lager. Man lebt dann nebeneinander statt miteinander und hat sich schlimmstenfalls nichts zu sagen, weil man keine gemeinsame Sprache spricht, auch wenn man terilweise dieselben Vokabeln beherrscht.
Diese Art von Schwierigkeiten erwarte ich - und wenn mehr Flüchtlinge kommen, erwarte ich sie häufiger. Aber sie machen mir keine
Angst.
Es kann aber auch nicht schaden, sich schon einmal drauf einzustellen!