Hexe
20 Jahre Mitglied
Thüringer Allgemeine vom 08.10.2000
08.10.2000
Zwölf Zeuginnen
Von Karsten JAUCH
Die Begegnung mit der Polizei ist für einen normalen Menschen meist harmlos - manchmal aber auch nicht. Offensichtlich grundlos wurde ein junger Mann aus Rudolstadt von Polizisten geschlagen. Der Mann erstattete Anzeige. Zwölf Zeuginnen geben ihm Recht. Das Innenministerium schaltete sich ein. Doch nichts bewegt sich.
Steve B.* wusste gar nicht wie ihm geschah, an diesem 5. Juli 2000, gegen 13 Uhr. Eben war er im Büro seines Steuerberaters. Fünf Minuten später liegt er niedergeschlagen vor dessen Haus im Gewerbegebiet von Bad Blankenburg. Dabei wollte der 25-Jährige, der als selbstständiger Musikveranstalter arbeitet, nur seine Finanzen regeln. Den Mercedes-Kleintransporter hatte er vor dem
Haus geparkt. Seinen Hund, einen kleinen Mischling, ließ er Gassi laufen. Ohne Leine. Niemand störte sich daran. Zwölf Frauen, die im gleichen Haus wie der Steuerberater eine Umschulung absolvieren und gerade Pause haben, verfolgen jedes Detail, das sich jetzt abspielt.
Ein Nachbar des Grundstückes hatte die Polizei gerufen, weil er den Hund frei laufen sah und annahm: Das ist ein Kampfhund. Die beiden hinzugeeilten Polizeibeamten, so sagen später die Frauen aus, haben sich nicht lange mit dem Nachbarn unterhalten. Sofort gehen sie auf Steve B. zu, sprechen ihn beim Namen an, verlangen die Papiere. "Was werfen Sie mir vor?", fragt Herr B. Ein Wort gibt das andere. Dann schlagen die Polizisten zu. So sehr, dass sich ein Beamter selbst verletzt, weshalb in den Zeitungen des folgenden Tages stand "Hundehalter beißt Polizisten in den Finger". Zurück zur Tat: Die zwölf Frauen, alle zwischen 30 und 60 Jahre alt, sind entsetzt über die Polizeigewalt. Steve B. schreit um Hilfe. Er blutet. "Lassen Sie den Jungen gehen", ruft eine Frau. Steve bekommt Handschellen angelegt. Er wird wie ein Verbrecher zur Polizeiinspektion Rudolstadt gebracht. Sein Auto kann er nicht einmal abschließen. Ohne Aufsicht sitzt darin der Hund, der so gefährlich sein soll.
Auf der Inspektion geht die Geschichte weiter. Weder wird ein Arzt geholt noch darf Steve B. die Eltern oder einen Anwalt anrufen. Ein Drogentest wird gemacht. Nach zwei Stunden kommt ein Urologe aus Rudolstadt. Statt Herrn B. zu versorgen, nimmt er Blut ab. Angesprochen auf die Verletzungen, sagt er: "Nase und Arm könnten gebrochen sein." Der am Finger verletzte Polizist kommt sofort ins Krankenhaus. Bei Steve B. dauert das noch zwei Stunden. Die Wunden werden genäht. Zum Glück ist nichts gebrochen. Dann geht es zurück in die Zelle. Ohne Erklärung, mit Beschimpfungen.
Um 19.30 Uhr wird der junge Mann, der bei seiner Oma in Rudolstadt wohnt, entlassen. Die Wohnung wurde ohne Genehmigung durchsucht. Auch der Kleintransporter. Beschlagnahmt wurden laut Protokoll "4,4 Gramm Pflanzenmaterial", das auf Rauschgift getestet wurde. Es war Tee.
Am nächsten Tag, dem 6. Juli, spricht Steve B. mit seinem Saalfelder Anwalt Bertram Fritzenwanker. Der veranlasst eine Klage wegen Körperverletzung im Amt. Die Polizei ihrerseits klagt wegen "Widerstand gegen zwei
Vollstreckungsbeamte" und gibt jene Pressemitteilung vom beißenden Hundehalter heraus. Am 17. Juli legt daraufhin Anwalt Fritzenwanker eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein: "Eine glatte Falschmeldung." Danach ermittelt die Staatsanwaltschaft Gera. In diesem Zusammenhang werden die Frauen befragt. Alle bestätigen die Sicht von Steve B. Gegen die Beamten wird nichts unternommen. Zwar zieht die Arbeitsgruppe "Interne Ermittlungen" des Thüringer Innenministeriums in Erfurt den Fall kurzzeitig an sich, bestätigt Ministeriumssprecher Bernd Edelmann. Die Sache geht aber ohne Ergebnisse an die Staatsanwaltschaft Gera zurück.
"Unfassbar ist diese Gelassenheit", sagt Anwalt Fritzenwanker. Einer der Beamten, der Steve B. misshandelte, hatte es offenbar schon früher auf den Jungen abgesehen. Anwalt Fritzenwanker sagt: "Dieser Polizeihauptmeister Andreas M.* hatte 1997 Steve B. unter fadenscheinigen Umständen verhaftet, vielleicht passte ihm das Aussehen nicht." Es gab dasselbe Verfahren wie
jetzt: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Zu Gunsten von Steve B. ist es eingestellt worden. "Herr M. hat das vielleicht nicht vergessen", vermutet Anwalt Fritzenwanker, "und nur auf eine Gelegenheit gewartet."
Die Staatsanwaltschaft Gera will sich zu diesen, in den Akten vermerkten Vorwürfen nicht äußern. "Im Moment gibt es zwei Verfahren mit gegensätzlichen
Anschuldigungen", sagt Oberstaatsanwalt Thomas Villwock: "Jetzt müssen wir den Sachverhalt objektivieren." Frühestens in vier Wochen sind die Untersuchungen beendet. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft diesen Termin verschoben - bis zum Jahresende. Die Polizeibeamten sind immer noch im Dienst.
08.10.2000
Zwölf Zeuginnen
Von Karsten JAUCH
Die Begegnung mit der Polizei ist für einen normalen Menschen meist harmlos - manchmal aber auch nicht. Offensichtlich grundlos wurde ein junger Mann aus Rudolstadt von Polizisten geschlagen. Der Mann erstattete Anzeige. Zwölf Zeuginnen geben ihm Recht. Das Innenministerium schaltete sich ein. Doch nichts bewegt sich.
Steve B.* wusste gar nicht wie ihm geschah, an diesem 5. Juli 2000, gegen 13 Uhr. Eben war er im Büro seines Steuerberaters. Fünf Minuten später liegt er niedergeschlagen vor dessen Haus im Gewerbegebiet von Bad Blankenburg. Dabei wollte der 25-Jährige, der als selbstständiger Musikveranstalter arbeitet, nur seine Finanzen regeln. Den Mercedes-Kleintransporter hatte er vor dem
Haus geparkt. Seinen Hund, einen kleinen Mischling, ließ er Gassi laufen. Ohne Leine. Niemand störte sich daran. Zwölf Frauen, die im gleichen Haus wie der Steuerberater eine Umschulung absolvieren und gerade Pause haben, verfolgen jedes Detail, das sich jetzt abspielt.
Ein Nachbar des Grundstückes hatte die Polizei gerufen, weil er den Hund frei laufen sah und annahm: Das ist ein Kampfhund. Die beiden hinzugeeilten Polizeibeamten, so sagen später die Frauen aus, haben sich nicht lange mit dem Nachbarn unterhalten. Sofort gehen sie auf Steve B. zu, sprechen ihn beim Namen an, verlangen die Papiere. "Was werfen Sie mir vor?", fragt Herr B. Ein Wort gibt das andere. Dann schlagen die Polizisten zu. So sehr, dass sich ein Beamter selbst verletzt, weshalb in den Zeitungen des folgenden Tages stand "Hundehalter beißt Polizisten in den Finger". Zurück zur Tat: Die zwölf Frauen, alle zwischen 30 und 60 Jahre alt, sind entsetzt über die Polizeigewalt. Steve B. schreit um Hilfe. Er blutet. "Lassen Sie den Jungen gehen", ruft eine Frau. Steve bekommt Handschellen angelegt. Er wird wie ein Verbrecher zur Polizeiinspektion Rudolstadt gebracht. Sein Auto kann er nicht einmal abschließen. Ohne Aufsicht sitzt darin der Hund, der so gefährlich sein soll.
Auf der Inspektion geht die Geschichte weiter. Weder wird ein Arzt geholt noch darf Steve B. die Eltern oder einen Anwalt anrufen. Ein Drogentest wird gemacht. Nach zwei Stunden kommt ein Urologe aus Rudolstadt. Statt Herrn B. zu versorgen, nimmt er Blut ab. Angesprochen auf die Verletzungen, sagt er: "Nase und Arm könnten gebrochen sein." Der am Finger verletzte Polizist kommt sofort ins Krankenhaus. Bei Steve B. dauert das noch zwei Stunden. Die Wunden werden genäht. Zum Glück ist nichts gebrochen. Dann geht es zurück in die Zelle. Ohne Erklärung, mit Beschimpfungen.
Um 19.30 Uhr wird der junge Mann, der bei seiner Oma in Rudolstadt wohnt, entlassen. Die Wohnung wurde ohne Genehmigung durchsucht. Auch der Kleintransporter. Beschlagnahmt wurden laut Protokoll "4,4 Gramm Pflanzenmaterial", das auf Rauschgift getestet wurde. Es war Tee.
Am nächsten Tag, dem 6. Juli, spricht Steve B. mit seinem Saalfelder Anwalt Bertram Fritzenwanker. Der veranlasst eine Klage wegen Körperverletzung im Amt. Die Polizei ihrerseits klagt wegen "Widerstand gegen zwei
Vollstreckungsbeamte" und gibt jene Pressemitteilung vom beißenden Hundehalter heraus. Am 17. Juli legt daraufhin Anwalt Fritzenwanker eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein: "Eine glatte Falschmeldung." Danach ermittelt die Staatsanwaltschaft Gera. In diesem Zusammenhang werden die Frauen befragt. Alle bestätigen die Sicht von Steve B. Gegen die Beamten wird nichts unternommen. Zwar zieht die Arbeitsgruppe "Interne Ermittlungen" des Thüringer Innenministeriums in Erfurt den Fall kurzzeitig an sich, bestätigt Ministeriumssprecher Bernd Edelmann. Die Sache geht aber ohne Ergebnisse an die Staatsanwaltschaft Gera zurück.
"Unfassbar ist diese Gelassenheit", sagt Anwalt Fritzenwanker. Einer der Beamten, der Steve B. misshandelte, hatte es offenbar schon früher auf den Jungen abgesehen. Anwalt Fritzenwanker sagt: "Dieser Polizeihauptmeister Andreas M.* hatte 1997 Steve B. unter fadenscheinigen Umständen verhaftet, vielleicht passte ihm das Aussehen nicht." Es gab dasselbe Verfahren wie
jetzt: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Zu Gunsten von Steve B. ist es eingestellt worden. "Herr M. hat das vielleicht nicht vergessen", vermutet Anwalt Fritzenwanker, "und nur auf eine Gelegenheit gewartet."
Die Staatsanwaltschaft Gera will sich zu diesen, in den Akten vermerkten Vorwürfen nicht äußern. "Im Moment gibt es zwei Verfahren mit gegensätzlichen
Anschuldigungen", sagt Oberstaatsanwalt Thomas Villwock: "Jetzt müssen wir den Sachverhalt objektivieren." Frühestens in vier Wochen sind die Untersuchungen beendet. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft diesen Termin verschoben - bis zum Jahresende. Die Polizeibeamten sind immer noch im Dienst.