Dr. Dorit Urd Feddersen Petersen ETHOLOGIN Fachtier
ärztin für Verhaltenskunde und Tierschutzkunde INSTITUT FÜR HAUSTIER
KUNDE CHRISTIAN ALBRECHTS UNIVERSITÄT ZU KIEL Biologiezentrum Ols
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ETHOLOGISCHE STEL LUNG NAH ME ZUR KLAGEERWIDERUNG DES
MINISTERIUMS DER JUSTIZ RHEINLAND PFALZ VOM 15.06.2001
BETREFFEND DIE VERFASSUNGSBESCHWERDE VG B 8/01
Die in der Stellungnahme auf ge führ ten Argumente und die wenigen
Zitate (aus den Fachbereichen Zoologie, Ethologie,
Tier zucht) sind fast aus schließ lich als nicht schlüssig oder im
Grunde unverstanden bzw. fehl in ter pre tiert zu kennzeich nen,
aus dem Kon text ge nom men und sinn ent stellt be nutzt wor
den oder der Justizminister be dient sich Quel len recht zwei fel
haf ten "ky no lo gi schen" In haltes. Ad "willkürfreie
Begründung" des Rassekatalogs: Hunde der benannten Rassen
(einschließlich ihrer Kreuzungen!) bestechen durch eine große Varianz
"züchterischen Ursprungs", Herkunft, Verwendungszweck sowie damit
verbundenen Verhaltensbesonderheiten. Pit Bull Terrier sind keine
Rasse (nicht FCI , nicht VDH anerkannt). Der American Pit Bull
ist ja nicht gemeint und bekannterweise werden unter der Bezeichnung
"Pit Bull" die unterschiedlichsten Kreuzungen subsumiert. Diese sind
weder phänotypisch noch genetisch zuzuordnen, was verstärkt für
Kreuzungen mit diesen Kreuzungen zutrifft. American Staffordshire
Terrier und Staffordshire Bullterrier sind Rassen mit
außerordentlicher Divergenz bezüglich verschiedenster Parameter. Sagen
wir es einfach: Staffordshire Bullterrier sind nicht nur in England
als Begleithunde hochgeschätzt, haben eine Schulterhöhe von 40 cm und
bestechen durch ihr "menschenbezogenes" Sozialverhalten. Nicht allein
Engländer haben so ihre Probleme mit uns und unseren "Rasselisten" ...
Zitat:
" ...sowie Hunde, die von einer dieser Rassen abstammen, sind
gefährliche Hunde". Wie es mit der "Abstammung" von Hunden aussieht,
möge der beigefügte Artikel "Was ist eine Rasse?" verdeutlichen. Nicht
allein jeder Laienkynologe wird in dieses "weite Feld" sein intuitiv
gewonnenes Wissen einfließen lassen und dazu beitragen, die
bestehende Verwirrung weiter zu verstärken.
Dennoch soll dieses willkürlich zusammengestellte Spektrum von
Hunde"rassen" "aufgrund ihrer besonderen genetischen Ausstattung eine
erhöhte abstrakte Gefahr für Leib und Leben von Menschen und Tieren"
darstellen. "Zu dieser Einschätzung konnte der Verordnungsgeber ...
unter wertender Heranziehung wissenschaftlicher (?) und praktischer
(?) Erkenntnisse sowie statistischer (?) Befunde willkürfrei
gelangen".
Die jeweilige Wertung jedoch ist häufig so problematisch ... .
Ad "Bewertung der fachwissenschaftlichen Erkenntnisse":
Der Begriff "Kynologie" kennzeichnet heute eine "Laienkynologie". Es
gibt keinen Lehrstuhl für Kynologie, hingegen etliche Hunde
besitzende Experten, die populistische Self Made Experten bzw.
Funktionärs Kynologen oder Hundeausbilder unterschiedlichster Couleur
sind. Zwischen Kynologie und Ethologie (Zoologie) spannt sich ein
komplexes Geflecht aus persönlichen Vorbehalten, Idealismus,
Funktionärstum und Partikularismus, gekennzeichnet durch persönliche
Vorteilnahme und hohen Hang zur Zerstrittenheit (s. BRACH, 2001).
Hunde sind Lebewesen, die "Tür und Tor öffnen" für menschliche
Projektionen. Das ist ein zentrales Problem.
"Genetische Dispositionen":
Daß so gut wie jegliches Verhalten bei Angehörigen der Klasse der
Säugetiere durch ein feinverzahntes Zusammenspiel genetischer
Dispositionen und Erfahrungen, Lernprozesse, auf differenzierteste
Weise entsteht, lernen wir in der Schule. (s. LINDER, Biologie,
Metzeler Verlag). Wurde dieses versäumt, so werden im ersten Semester
der Biologie entsprechende Kenntnisse, die seit Jahrzehnten
Allgemeinwissen sind, verbreitet. "Obwohl noch vieles über die
proximaten Grundlagen der Entwicklungshomöostasis zu lernen bleibt,
gibt es kaum einen Zweifel daran, daß es sich um ein weit verbreitetes
Phänomen handelt, und daß in einem ultimaten, evolutionären Sinn
Individuen davon profitieren, den störenden Einflüssen bei der
Entwicklung ihres Verhaltens widerstehen zu können" (IMMELMANN (1986).
Die Entwicklung also jeglicher Merkmale ist ein interaktives Phänomen,
welches den Genotyp eines befruchteten Eies und die Umgebung des sich
entwickelnden Organismus einbezieht. Es gibt keinen
"Aggressionstrieb", der ab und zu "entladen" werden muß, auch wenn der
eine oder andere Hundesportler dieses als Argumentationshilfe für sein
Tun gerne hätte. Diese Ansichten sind obsolet. Der Hinweis auf
genetische Dispositionen und die obligatorischen Lernvorgänge bei
Säugetieren,kann schwerlich als Untermauerung der "Gefährlichkeit" von
Rassen herangezogen werden. Prädispositionen gibt es für den weit zu
fassenden Begriff des Sozialverhaltens, so auch das obligat als
Regulativ zu ihm gehörende Aggressionsverhaltens. Auch dieses ist
biologisches Basiswissen. Aggressionsverhalten, also Kompetition von
gruppenlebenden Säugetieren, ist unverzichtbar für ihr Zusammenleben.
Gefährlich sind Hundehalter, die ihren Tieren keinen sozialen Status
zuweisen können bzw. Hunde so aufwachsen lassen, daß diese
Deprivationserscheinungen (Fehlentwicklungen durch sozialen
Erfahrungsentzug) davontragen. So können Gefahrenmomente verstärkt
entstehen.
Tierschutzrelevanz und Gefährdungspotential gehen Hand in Hand
(FEDDERSEN PETERSEN, D. (1991
Aggressive Hunde ein
Tierschutzproblem.
Schutz des Tieres vor Mißbrauch durch den Menschen bedeutet
Menschenschutz). Diese ältere Publikation schrieb ich nach Anregung
und fruchtbarer Auseinandersetzung mit Herrn Dr. Goldhorn, dem
langjährigen 1. Vorsitzenden der Tierärztlichen Vereinigung für
Tierschutz (TVT). Weder EICHELBERG noch UNSHELM (2000) ("Kampfhunde"
Gefährliche Hunde")
untermauern die These der "gefährlichen Rassen", kommen viel mehr
zu folgenden Schlüssen: "Ich komme zu dem Schluß, daß es
wissenschaftlich unhaltbar ist, sämtliche Tiere einer Rasse
als "gefährlich" einzustufen ..." (EICHELBERG) bzw. "..Maß
nah men ge gen ge fähr li che Hun de un ab hän gig von der
Rassezugehörigkeit
aus ge hen" (UNSHELM). Das Zitat S. 5 zitiert beide für die
gegenteilige Auffassung.
Unerwähnt bleibt die Tatsache, daß die Mehrzahl aller Unfälle mit
Hunden zuhause geschieht, mit Hunden verschiedener Rassezugehörigkeit,
etwa 80% (HORNISBERGER, 2000).
Eigene Arbeiten zu "Pit Bull Terriern" (Kreuzungen, die ein Zuhälter
für den Hundekampf verpaarte und extrem restriktiv hielt, so daß
hochgestörte Individuen resultierten) werden einer (welcher?) Rasse
zugeschrieben, da die Negativauslese ohne Anführungsstriche
geschrieben wird. Gemeinsam mit dem Fakt, daß Pit Bulls in der
vorliegenden Rasseliste als Rasse dargestellt werden, kommt es so
rasch wieder zu der Verwechslung der beschriebenen Störungen bei
kämpfenden Hunden mit Hunden bestimmter Rassezugehörigkeit. Dieses sei
nicht als semantische Pedanterie aufgefaßt, vielmehr als ursächlich
für Mißverständnisse angesehen. Von Kampfhunden schrieb ich nie, wenn
es um Rassen ging, es gibt keine Kampfhunderassen, Zuchtziel für keine
Rasse ist der Sieg in der Pit. Dieser Begriff ist rein historisch.
"Pit Bulls", die ich untersuchte, waren kämpfende Hunde, Individuen
(Kreuzungen) mit schwersten Verhaltensstörungen.
Störungen im Bereich Muttertier Welpen, die für einige Zuchten (evtl.
Zuchtlinien) des Bullterriers / Am. Staff. Terriers beschrieben
wurden, dürfen nicht auf die Rassen extra poliert wer den, da andere
Zuchten (Zuchtlinien?) dieses Verhalten gar nicht zeigten und etliche
Rassen dies be züglich auch noch nie un ter sucht wur den. Bei re
duzierten Fürsorge verhalten, sind die Muttertie re nicht mehr zur
Zucht ein zu setzen, je doch nicht die Ras sen aus zu rot ten
... Diese Folgerung ist als völlig unverhältnismäßig zu werten.
Adsignifikante statistische Daten: Diese sind mir nicht bekannt. Die
vorliegenden Statistiken weisen Trends auf, die stets den Deutschen
Schäferhund oder Mischlinge an der Spitze der Unfälle verzeichnen.
Diese Statistiken sind jedoch nicht auf die Populationen umgerechnet,
was wohl auch gar nicht möglich ist. Ad Statement Feddersen Petersen
bzw. § 11b / Qualzuchtgutachten: Wer meine Arbeiten der letzten 17 /
18 Jahre liest, vermag ein "Verleugnen von Daten" nicht ansatzweise zu
erkennen. Schon in meinem ersten Buch "Hundepsychologie", in dem die
Dissertation SCHLEGER zitiert wurde, fehlt nicht der Hinweis, diese
Ergebnisse niemals auf die gesamte Rasse zu extrapolieren. Unsere
Arbeiten an Wölfen und Hunderassen sind Grundlagenforschungen, die
leider von etlichen Seiten m.o.w. bewußt fehlinterpretiert wurden.
Über Hunde weiß ein Jeder alles. Es gibt keine "semantische
Relativierung", wohl aber eine Zunahme der Erkenntnisse, was von einem
engagierten Wissenschaftler zu erwarten ist. Es ging mir stets um die
Defintion des "Normalverhalten" von Haustieren bestimmter
Rassezugehörigkeit und ich betonte zunehmend (dieses als
angewandtes Moment der Forschungen), auf das Verhalten als Kriterium
der Zuchtauswahl zu achten. Wir haben im Laufe der Jahre über 20
Rassen unter semi natürlichen Bedingungen mit Wölfen, die
vergleichbar leben, untersucht und dann die Umweltbedingungen für
die Haushunde sukzessive verändert.
Aggressionsverhalten ist eben kein Merkmal, sondern ein sehr komplexer
Bereich des Sozialverhaltens. Unterschiede, die rassekennzeichnend
sein könnten, zu erfassen, ist aufwendig und bedarf sehr vorsichtiger
Interpretation. Sog. Übersteigerungen im Aggressionsverhalten habe ich
früh für Zwergpudel beschrieben, die sicher deshalb nicht gefährlich
sind.
Auffallend unangepaßtes Verhalten (ein kreischender Hund wird in den
Ring gezogen und erhält ein V 1, darf weiterzüchten, weil sein Fell
und die mandelförmigen Augen dem Standard der Rasse entsprechen ...)
sollte zum Zuchtausschluß führen (s. § 11b). Es zeigten sich
Überforderungen unter bestimmten Haltungsbedingungen, die bei anderen
Rassen (Bullterrier, Fila Brasileiro z.B.) ausblieben. Wie andere
Wissenschaftler meine Arbeiten zitieren, steht nicht in meiner Macht
und Verantwortung. Außerdem kenne ich ausschließlich
wissenschaftliche Zitate im von mir gemeinten Sinne. Die
Vorgehensweise wurde somit verstanden. Wissenschaftler anderer
Fachrichtungen mögen zu anderen Schlüssen kommen, bei zu knapper
Auseinandersetzung mit der Methodik, der Fragestellung und Analyse
vielleicht. Natürlich war es mir wichtig, daß inadäquates (sog.
übersteigertes) Aggressionsverhalten in das Gutachten zur Auslegung
des § 11b aufgenommen wird. Und ich begrüße das neue Tierschutzgesetz,
welches Aggressionssteigerungen wie Aggressionszuchten verbietet. Ich
gehörte damals zum weiteren Kreis der Gutachter. Als ich las, daß Herr
Prof. Reetz neben einem alten Zitat von SCHENKEL über Wölfe und einer
amerikanischen Arbeit, die allein Hypothesen aufzählte (völlig
irrelevante Literatur für den angesprochenen Sachverhalt), meinen
Namen mit einer mündlichen Mitteilung versehen hatte, die ja jeder
Spekulation Tür und Tor öffnet, schrieb ich Herrn Dr. Baumgärtner und
bat um Aufnahme von Literatur von mir bzw. aus meiner Arbeitsgruppe
(s. Anlage).
Die Arbeiten über etliche Hunderassen enthalten keine
Zuchtlinienanalysen, wir sind keine Tierzüchter, es gibt jedoch für
diese und jene Rasse Hinweise, die ein Überdenken im Hinblick auf
Tierschutzrelevanz ermöglichen sollten. Zuchten mit Verhaltensweisen,
die dem Selbstaufbau der Welpen etwa entgegenstehen, sind zu
kennzeichnen und sollten dieses Verhalten nicht weitergeben dürfen.
Herr Dr. Baumgärtner wollte Herrn Reetz informieren, dennoch blieb es
bei der "mdl. Mitteilung", die eine differenzierte Auseinandersetzung
mit unseren Arbeiten verunmöglicht. Herr Dr. Reetz wollte Rassen mit
Defekten aufnehmen, ähnlich wie der von ihm vorgeschlagene Cocker
Spaniel, die konnte ich ihm nicht liefern. Die Kreuzungen mit dem
hochgradig gestörten Verhalten interessierten ihn nicht. Der
Tatbestand des Leidens ist allerdings gerade hierfür mich erfüllt, wo
Hunde für den Hundekampf"zerstört" werden. Aber es waren keine Rassen.
Herr Dr. Reetz ist Versuchstierkundler, er kommt aus der Tierzucht,
hat sich vorzugsweise mit dem Merle Faktor befaßt.
Heretabilitätsuntersuchungen an Rassen wurden bei uns nie betrieben,
sind bezüglich des Aggressionsverhaltens auch wenig aussichtsreich, da
die Umwelt zu sehr an der Entwicklung dieses Bereichs des hundlichen
Sozialverhaltens beteiligt ist. Aggression ist eben kein hundliches
Merkmal und Defektrassen bezüglich dieses "Merkmals" kenne ich nicht!
Der " Blick auf eine jüngere Exploration" ist so interessant nicht,
neu auch nicht. Die implizierte Unterstellung verweise ich in den
Bereich einer "unlogischen Absurdität". Im Buch "Ausdrucksverhalten"
sind eigene Forschungen über Deutsche Schäferhunde, die unter
Zwingerbedingungen aufwuchsen mit anderen, die in der Familie groß
wurden, verglichen worden.
Die Zwingerhunde entwickelten mit hoher Signifikanz
Verhaltensstörungen. Das jetzt angesprochene Projekt gehört zur
Analyse von Rassehunden unter Rudelbedingungen (s. Anlage,
Sonderdruck). Die seit fast 4 Jahren von uns beobachteten Deutschen
Schäferhunde entwickelten komplexe Strategien zur Konfliktlösung in
der Gruppe (ähnlich wie Malamutes, Bullterrier, Filas u.a Rassen).
Dieses ist ein Ergebnis. Wo ist da der Zusammenhang mit einer
vermeintlich vorhandenen "semantischen Relativierung" zu sehen? Ich
war nie an Vereine / Gruppierungen gebunden und von diesen abhängig.
Wohl auch deshalb erregten meine Arbeiten viele Gemüter .... FAZIT: In
ausgeprägt subjektiver und selbstgefällig anmutender Betrachtungsweise
wird hier eine VO schöngeredet. Dabei fehlt für mein Ermessen jegliche
ernsthafte Auseinandersetzung mit einem Thema, das uns alle so
dringlich fordert.
Kiel, den 2.07.01
Dr. Dorit Urd Feddersen Petersen
Anlagen:
1 Publikation (s.d. Literatur), 1 Brief an Herrn Dr. Baumgartner, 1
Abhandlung "Was ist eine Rasse?"
Gruß Sylvia