WHeimann
Donnerstag, 3. Mai 2001
Verlassen
Die junge Frau lässt Hunde und Hasen tagelang unversorgt - jetzt droht ihr Gefängnis
Schon seit Tagen hören die Nachbarn klägliches Bellen und Winseln aus der Wohnung. Von der jungen Mieterin fehlt seit fast einer Woche jede Spur. Irgendwann bemerkt eine Frau aus dem Haus gegenüber die kleine Chihuahua-Mischlingshündin auf dem Fensterbrett. Verzweifelt versucht das Tier, Kondenswasser von der Scheibe zu lecken. Die aufmerksame Frau alarmiert die Polizei.
Den Männern in Uniform, an einiges gewöhnt, stockt der Atem, als sie die Wohnung öffnen. Sie steigen über Müllbeutel. Büschel von Hundehaaren liegen herum. Kothaufen verpesten die Luft. Die Urinpfützen sind längst eingetrocknet. In der Küche liegt ein totes Kaninchen in einem Käfig.
Die kleine, völlig entkräftete Hündin lässt sich mühelos einfangen. Schwieriger wird das mit dem Rottweiler-Schäferhund-Mischling. Der Rüde, in einen extra Raum gesperrt, will sein Revier verteidigen. Die Beamten, von Mitarbeitern des Veterinäramtes unterstützt, schieben ein beruhigendes Medikament auf einem Stück Zeitung unter die Tür durch. Das ausgehungerte Tier verschlingt die Medizin samt Papier. Beide Hunde, so stellt später der Veterinärmediziner fest, sind völlig unterernährt. Das Fell ist von Flöhen durchsetzt. Die Krallen sind gut zwei Zentimeter lang - die Tiere müssen seit Wochen nicht mehr aus der Wohnung gekommen sein.
Gut ein Jahr später muss sich Andrea* nun wegen der groben Vernachlässigung der Tiere vor dem Amtsgericht Schwerin verantworten. Die beiden Hunde sind inzwischen eingeschläfert worden. Mit verweinten Augen sitzt die 23-Jährige auf der Anklagebank. Ihr Mann wartet lieber auf dem Flur. Die Tiere haben ihm gehört. Zur Tatzeit saß er im Knast. Er hatte seine Frau gebeten, sich um Hunde und Hasen zu kümmern. Den Willen dazu hatte sie möglicherweise. "Aber meine Mandantin war völlig überfordert", erklärt ihr Pflichtverteidiger und verweist auf die "Persönlichkeitsstruktur" der jungen Frau. Sie habe die Schule nach der achten Klasse verlassen und bis heute keine abgeschlossene Lehre. Sie bekommt ihr Kind und heiratet. Die Familie lebt von Sozialhilfe. Andrea fällt es offenbar schwer, den Alltag zu meistern. Erst recht, als ihr Mann hinter Gittern verschwindet. Das Kind versorgen, die Tiere, die Wohnung sauber halten. Dann gibt es auch noch Zoff mit den Nachbarn. Da packt sie ihr Kind und flüchtet zur Mutter. Ursprünglich habe sie nur einen Tag bleiben wollen. Dann habe sie die Tiere irgendwie "vergessen", erzählt sie vor Gericht.
Das nimmt ihr der Staatsanwalt, ein ausgewiesener Tierfreund, nicht ab. "Die Tiere waren Ihnen völlig gleichgültig. Die Hunde wären elendig verreckt, genau wie das Kaninchen", behauptet er. Sie habe sich ja schließlich auch in den Monaten zuvor nicht ausreichend um die Tiere gekümmert. Andreas Verteidiger fragt pflichtgemäß, ob denn eine Einstellung des Verfahrens in Frage komme. Doch Staatsanwalt und Richterin schütteln sofort den Kopf. Andrea hatte im Prozess gegen ihren Mann ihm zuliebe falsch ausgesagt. Als sie die ihr anvertrauten Tiere so leiden ließ, stand sie unter Bewährung. Das Gesetz kennt dafür ein strenges Wort: "Bewährungsversagerin".
Nun droht ihr selbst eine Gefängnisstrafe. "Mir tut das alles leid", sagt Andrea und schon wieder schießen ihr die Tränen in die Augen. Die Richterin nimmt gerade noch einmal die Fotos von der verwahrlosten Wohnung zur Hand. "Kümmern Sie sich denn um Ihr Kind?", fragt sie besorgt. Das bejaht Andrea und es klingt fast ein bisschen empört. "Die Tiere waren in Ihrer Obhut. Sie haben sie leiden lassen. Tiere sind Lebewesen, sie fühlen Schmerz", sagt der Staatsanwalt. "Von artgerechter Haltung kann überhaupt keine Rede sein. Eine Misshandlung durch unterlassene Versorgung," bringt er es auf den Punkt. Und die steht nach dem Tierschutzgesetz unter Strafe. Der Staatsanwalt fordert sechs Monate Freiheitsentzug. Nach sichtbarem Ringen fügt er hinzu: "Zur Bewährung". Dem schließt sich dann auch die Richterin an. 60 Stunden soll Andrea nun gemeinnützige Arbeit leisten. Drei Jahre dauert ihre Bewährungszeit. Tiere darf sie in der Zeit nicht halten. Beim kleinsten Verstoß droht ihr Haft. "Da reicht schon, dass Sie sich einen Kanarienvogel kaufen", warnt der Staatsanwalt. Und die Richterin fügt vorsichtshalber hinzu: "Falls mit Ihrem Mann mal wieder was sein sollte, geben Sie die Tiere lieber ab!" Andreas Mann hat sich nämlich wieder Vierbeiner zugelegt.
*Name geändert
WHeimann
Hundeschule des Tierschutzverein Iserlohn e.V.
Jetzt mit AWARD-Vergabe
Verlassen
Die junge Frau lässt Hunde und Hasen tagelang unversorgt - jetzt droht ihr Gefängnis
Schon seit Tagen hören die Nachbarn klägliches Bellen und Winseln aus der Wohnung. Von der jungen Mieterin fehlt seit fast einer Woche jede Spur. Irgendwann bemerkt eine Frau aus dem Haus gegenüber die kleine Chihuahua-Mischlingshündin auf dem Fensterbrett. Verzweifelt versucht das Tier, Kondenswasser von der Scheibe zu lecken. Die aufmerksame Frau alarmiert die Polizei.
Den Männern in Uniform, an einiges gewöhnt, stockt der Atem, als sie die Wohnung öffnen. Sie steigen über Müllbeutel. Büschel von Hundehaaren liegen herum. Kothaufen verpesten die Luft. Die Urinpfützen sind längst eingetrocknet. In der Küche liegt ein totes Kaninchen in einem Käfig.
Die kleine, völlig entkräftete Hündin lässt sich mühelos einfangen. Schwieriger wird das mit dem Rottweiler-Schäferhund-Mischling. Der Rüde, in einen extra Raum gesperrt, will sein Revier verteidigen. Die Beamten, von Mitarbeitern des Veterinäramtes unterstützt, schieben ein beruhigendes Medikament auf einem Stück Zeitung unter die Tür durch. Das ausgehungerte Tier verschlingt die Medizin samt Papier. Beide Hunde, so stellt später der Veterinärmediziner fest, sind völlig unterernährt. Das Fell ist von Flöhen durchsetzt. Die Krallen sind gut zwei Zentimeter lang - die Tiere müssen seit Wochen nicht mehr aus der Wohnung gekommen sein.
Gut ein Jahr später muss sich Andrea* nun wegen der groben Vernachlässigung der Tiere vor dem Amtsgericht Schwerin verantworten. Die beiden Hunde sind inzwischen eingeschläfert worden. Mit verweinten Augen sitzt die 23-Jährige auf der Anklagebank. Ihr Mann wartet lieber auf dem Flur. Die Tiere haben ihm gehört. Zur Tatzeit saß er im Knast. Er hatte seine Frau gebeten, sich um Hunde und Hasen zu kümmern. Den Willen dazu hatte sie möglicherweise. "Aber meine Mandantin war völlig überfordert", erklärt ihr Pflichtverteidiger und verweist auf die "Persönlichkeitsstruktur" der jungen Frau. Sie habe die Schule nach der achten Klasse verlassen und bis heute keine abgeschlossene Lehre. Sie bekommt ihr Kind und heiratet. Die Familie lebt von Sozialhilfe. Andrea fällt es offenbar schwer, den Alltag zu meistern. Erst recht, als ihr Mann hinter Gittern verschwindet. Das Kind versorgen, die Tiere, die Wohnung sauber halten. Dann gibt es auch noch Zoff mit den Nachbarn. Da packt sie ihr Kind und flüchtet zur Mutter. Ursprünglich habe sie nur einen Tag bleiben wollen. Dann habe sie die Tiere irgendwie "vergessen", erzählt sie vor Gericht.
Das nimmt ihr der Staatsanwalt, ein ausgewiesener Tierfreund, nicht ab. "Die Tiere waren Ihnen völlig gleichgültig. Die Hunde wären elendig verreckt, genau wie das Kaninchen", behauptet er. Sie habe sich ja schließlich auch in den Monaten zuvor nicht ausreichend um die Tiere gekümmert. Andreas Verteidiger fragt pflichtgemäß, ob denn eine Einstellung des Verfahrens in Frage komme. Doch Staatsanwalt und Richterin schütteln sofort den Kopf. Andrea hatte im Prozess gegen ihren Mann ihm zuliebe falsch ausgesagt. Als sie die ihr anvertrauten Tiere so leiden ließ, stand sie unter Bewährung. Das Gesetz kennt dafür ein strenges Wort: "Bewährungsversagerin".
Nun droht ihr selbst eine Gefängnisstrafe. "Mir tut das alles leid", sagt Andrea und schon wieder schießen ihr die Tränen in die Augen. Die Richterin nimmt gerade noch einmal die Fotos von der verwahrlosten Wohnung zur Hand. "Kümmern Sie sich denn um Ihr Kind?", fragt sie besorgt. Das bejaht Andrea und es klingt fast ein bisschen empört. "Die Tiere waren in Ihrer Obhut. Sie haben sie leiden lassen. Tiere sind Lebewesen, sie fühlen Schmerz", sagt der Staatsanwalt. "Von artgerechter Haltung kann überhaupt keine Rede sein. Eine Misshandlung durch unterlassene Versorgung," bringt er es auf den Punkt. Und die steht nach dem Tierschutzgesetz unter Strafe. Der Staatsanwalt fordert sechs Monate Freiheitsentzug. Nach sichtbarem Ringen fügt er hinzu: "Zur Bewährung". Dem schließt sich dann auch die Richterin an. 60 Stunden soll Andrea nun gemeinnützige Arbeit leisten. Drei Jahre dauert ihre Bewährungszeit. Tiere darf sie in der Zeit nicht halten. Beim kleinsten Verstoß droht ihr Haft. "Da reicht schon, dass Sie sich einen Kanarienvogel kaufen", warnt der Staatsanwalt. Und die Richterin fügt vorsichtshalber hinzu: "Falls mit Ihrem Mann mal wieder was sein sollte, geben Sie die Tiere lieber ab!" Andreas Mann hat sich nämlich wieder Vierbeiner zugelegt.
*Name geändert
WHeimann
Hundeschule des Tierschutzverein Iserlohn e.V.
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